Abtreibung
Berufung in Verfahren zu Abtreibungsparagraf abgewiesen
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12.10.2018
epd/red
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Schon um 7.50 Uhr treffen die beiden Ärztinnen Nora Szasz und Natascha Nicklaus vor dem Landgericht in Gießen ein. Sie binden sich grüne Tücher um den Hals, ein Symbol, das seit der Liberalisierung des Abtreibungsrechts in Argentinien als Zeichen der Solidarität gilt. Die Staatsanwaltschaft Kassel wirft den beiden Medizinerinnen einen Verstoß gegen den Strafrechtsparagrafen 219a vor: Sie sollen Werbung für Schwangerschaftsabbrüche gemacht haben, weil sie Informationen darüber auf ihrer Website anbieten.
Berufungsverfahren gegen Urteil aus dem November 2017
Am 12. Oktober findet aber nicht ihr eigener Prozess statt. Sie seien aus „Solidarität mit Kristina“ gekommen, sagt Szasz. Vor dem Landgericht wurde die Berufung der Ärztin Kristina Hänel verhandelt. Die Allgemeinmedizinerin wurde im November 2017 vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt, weil sie auf der Internetseite ihrer Praxis über Schwangerschaftsabbrüche informiert und diese vornimmt. Hänels Ziel ist nicht nur ein Freispruch, sondern die Abschaffung von 219a.
Proteste vor dem Landgericht
„Wir brauchen einen Weg raus aus der Kriminalisierung“, fordern Hänels Kolleginnen Szasz und Nicklaus. Unterdessen füllt sich der Platz vor dem Landgericht. Auch Hänel ist eingetroffen. 150 bis 200 Menschen sammeln sich vor der Treppe des roten Gebäudes. Es könne nicht sein, dass es in Deutschland mit dem Paragrafen 219a immer noch ein Gesetz gebe, das die Aufklärungsarbeit von Ärzten einschränke, sagt der hessische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel.
Der Oppositionspolitiker stimmt Szasz zu: Die aktuelle Regelung kriminalisiere „Ärztinnen und Ärzte dafür, dass sie ihre Arbeit tun“, sagt Schäfer-Gümbel. Im Strafgesetzbuch trägt 219a den Titel „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“. Hier vor dem Landgericht wird die Regelung nicht nur als Werbeverbot, sondern auch als Informationsverbot angesehen.
„Wir leben in einer Informationsgesellschaft“, sagt Heike Schauman von den Liberalen Frauen. Jede Meinung und jede Falschinformation dürfe unter Verweis auf die Meinungsfreiheit verbreitet werden. „Dass dann ausgerechnet Mediziner sachliche Informationen nicht verbreiten dürfen, ist ein Skandal“, sagt die FDP-Politikerin.
„Sachliche Informationen sind keine Werbung“, erklärt Regine Wlassitschau von der Beratungsorganisation Pro Familia. Die Berufsverordnung der Ärzte schreibe ohnehin „sachgerechte und angemessene Information“ vor, um die Kommerzialisierung des Arztberufes zu verhindern. „219a ist damit überzogen und überflüssig“, sagt Wlassitschau.
Apell für Novellierung von Paragraf 219a
Der Pressesprecher der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Rahn, hat die Bestätigung des Urteils gegen die Gießener Ärztin Kristina Hänel zum Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche erwartet. „Der Prozess in Gießen ist vermutlich nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zum Verfassungsgericht“, sagte Rahn. Das habe der zuständige Richter selbst mit seiner Bemerkung zum Ausdruck gebracht, dass die Ärztin das Urteil tragen müsse „wie einen Ehrentitel in einem Kampf für ein besseres Gesetz". Der Prozess zeige die Schwierigkeit der Trennung zwischen Information und Werbung, so Rahn. Eine weitere Frage sei, ob das Verbot der Werbung unbedingt mit einem Straftatbestand gesichert werden müsse. Die hessen-nassauische Kirche sei zwar gegen die generelle Abschaffung des umstrittenen Paragraphen 219a, zeige sich aber offen für Novellierungen.
Grundsätzlich steht die evangelische Kirche nach Worten von Rahn mit ihren diakonischen Einrichtungen an der Seite von Frauen, die ungewollt schwanger werden. Sie unterstütze die Frauen zunächst darin, sich ihr Leben auch mit einem Kind vorzustellen. Jede einzelne Frau entscheide am Ende jedoch eigenverantwortlich für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch. Die Beraterinnen und Berater respektierten diese Entscheidung.
Keine einheitliche Meinung innerhalb der Kirche
Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau hat zum Paragraphen 219a keine einheitliche Positionierung. Während der Landesverband der Evangelischen Frauen in Hessen und Nassau den Paragraphen 219a für nicht mehr zeitgemäß hält und für eine Abschaffung plädiert, hatte der EKHN-Ethikexperte Kurt W. Schmidt vom Zentrum Ethik in der Medizin zusammen mit dem Strafrechtsprofessor Bernhard Kretschmer darauf hingewiesen, dass die komplette Abschaffung des Paragraphen für den Staat in Hinblick auf seine Verpflichtungen zum Lebensschutz schwierig sei. Letztlich ginge es der Ärztin jedoch um eine Klärung durch das Bundesverfassungsgericht. Von daher sehen beide die erneute Verurteilung der Angeklagten als notwendigen Zwischenschritt auf diesem Weg.
Abtreibungen in Deutschland illegal
Die Menschen vor dem Gericht nicken zustimmend, viele mit ernsten Gesichtern. Einige halten Schilder hoch: „Girls just want to have FUNdamental rights“, steht auf einem. „Gegen Bevormundung“ auf einem anderen. Abtreibungen sind in Deutschland illegal, aber straffrei. Als rechtlich zulässig gelten sie nur, wenn die Gesundheit der Mutter in Gefahr ist sowie nach einer Vergewaltigung.
Die Verhandlung beginnt, auf dem Platz vor dem Gericht harren noch einige Demonstranten aus. Kurz nach Beginn des Verfahrens werden zwei junge Frauen von Justizbeamten aus dem Gericht getragen. Über ihrem nackten Oberkörper tragen die Femen-Aktivistinnen rote Umhänge. „Wir sind heute hier, weil Paragraf 219a weg muss“, erklären sie.
Dann, um kurz nach 12 Uhr öffnen sich die hellbraunen Holztüren: Kein Freispruch, das Gericht bestätigt die Verurteilung Hänels. Szasz und Nicklaus müssen am 28. Januar wieder vor das Amtsgericht Kassel treten. Die Hoffnung, dass Ärztinnen bald keine Anklage mehr befürchten müssen, wenn sie im Internet über Schwangerschaftsabbrüche informieren, hat sich mit dem Urteil vom Freitag nicht erfüllt. Die Protestschilder könnte man immerhin nochmal gebrauchen, witzelt eine Demonstrantin.
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