Dekanat Vorderer Odenwald

Angebote und Themen

Herzlich Willkommen! Entdecken Sie, welche Angebote des Dekanates Vorderer Odenwald zu Ihnen passen. Über das Kontaktformular sind wir offen für Ihre Anregungen.

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    Nachts am Bahnhof

    Am Sonntag - die Welt zu Gast in der Bahnhofsmission

    BahnhofsmissionEin Hilfesuchender im Gespräch mit Peter KrauchÜberraschender Besuch aus Madagaskar

    Die Lebensgeschichten, von denen Peter Krauch während seines Nachtdienstes in der Bahnhofsmission erfährt, scheinen das Kinoprogramm zu überbieten. Dem Sozialhelfer begegnen in einer Nacht der Leiter der evangelischen Kirche von Madagaskar, ein verhinderter Couchsurfer aus Mazedonien - und viele mehr.

    BahnhofsmissionEin erschöpfter Hilfesuchender schläft mit einem Kissen am Tisch in der Bahnhofsmission

    „Ich hätte nie gedacht, mal zur Bahnhofsmission zu müssen.“ Das ist der Satz, den die ehren- und hauptamtlich Mitarbeitenden der Bahnhofsmission in Frankfurt am Main während ihrer Nachtdienste am häufigsten hören. Einer der Sozialhelfer ist der 23-jährige Politik- und Theaterwissenschaftsstudent Peter Krauch, der zudem freiberuflich als Journalist arbeitet. Nun lässt er die Leserinnen und Leser von ekhn.de daran teilhaben, was er während seines Nachtdienstes in der Bahnhofsmission erlebt:

    Meine Nacht in der Bahnhofsmission:

    Der Nachtdienst beginnt für mich und meine ehrenamtliche Kollegin Anja um 21 Uhr. Der Bahnhof leert sich und die Kollegen des Spätdienstes übergeben anliegende Aufgaben. Heute ist es nur ein Gast, der bereits zu Beginn des Nachtdienstes bis zwei Uhr morgens bei uns sitzen wird, bis dahin wartet er auf seinen Bus.

    Die Nacht vor dem wichtigen Termin

    Wenige Minuten vergehen, da ruft das 15. Polizeirevier an: Ein junger Amerikaner, nur mit einem T-Shirt und einer kurzen Hose bekleidet, hätte morgen einen Termin beim US-amerikanischen Konsulat. Doch es ist kühl in dieser Sommernacht und so bittet die Polizei darum, diesen Mann bei uns warten zu lassen. Zunächst checke ich am Telefon mit den Beamten die wichtigsten Ausschlusskriterien für einen Aufenthalt in der Bahnhofsmission ab: Alkoholisiert? Drogenproblematik? Psychische Erkrankung? Nichts davon trifft zu, also bitte ich die Beamten, den Mann vorbeizubringen. Als er ankommt, ist er sichtlich froh, sich im warmen und sicheren Raum der Bahnhofsmission aufzuhalten. Ein Kissen erleichtert das Sitzen, in Ausnahmefällen stellen wir auch Isomatten zur Verfügung. 

    Offen für Gespräche bei einer Tasse Tee

    Um 22 Uhr öffnen wir noch einmal die Tür zur Mannheimer Straße für alle Menschen, die bei uns zum Abend eine heiße Tasse Tee trinken möchten. Viele Stammgäste sind darunter. Man kennt sich und plaudert, liest Zeitung oder schaut schweigend in die Tasse. Diese Tasse Tee - im Tagdienst ist es eher Kaffee – öffnet die Gäste und Hilfesuchenden oft für Gespräche und ein Beratungsangebot. Menschen, die durch eine missliche Lage obdachlos oder in Not sind, kommen an den Tresen und erhalten eine erste Beratung oder ein kurzes Gespräch. 

    Aus Italien auf Jobsuche in Deutschland

    In dieser Nacht tritt ein junger Italiener an uns heran. Er hat mittlerweile mehrere Übernachtungseinrichtungen kennen gelernt, in denen er sich ohne Kostenzusage des Sozialamts nur eine bestimmte Zeit aufhalten darf. Eigentlich sei er auf der Suche nach Arbeit. Ich telefoniere einige Einrichtungen aus dem Verzeichnis der Obdachlosenhilfe in der Umgebung ab - keine Chance. Ich weise den Mann noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass er bei weiterhin negativ verlaufender Jobsuche überlegen sollte, wieder in die Heimat zurückzukehren. Einige Tage später sehe ich ihn privat im Frankfurter Hauptbahnhof. Da war er immer noch auf der Suche.

    Ein Reisender aus Madagaskar

    Kurz vor Mitternacht klingelt ein Mann im Anzug, der ein großen Kreuz um den Hals trägt. Er fragt, ob er sich drei Stunden bis zum nächsten Nachtzug bei uns aufhalten könne. Der Reisende hat seinen Zug nach Wittenberg verpasst - und Martin Luther ist tatsächlich der Grund seiner Reise. Der Kirchenvertreter verrät uns: „Ich habe über 30 Bischöfe unter mir.“ Er berichtet, dass er der Leiter der evangelischen Kirchen von Madagaskar sei. Ich erklärte ihm die Aufgaben unserer christlichen Einrichtung und wir plaudern ein bisschen über die Reformation. „Jetzt bin ich auch kurzzeitig ohne Dach über dem Kopf“, scherzte der madagassische Protestant in Anlehnung an die abenteuerliche Rückreise Martin Luthers aus Worms. Die Menschen bringen ihre oft erstaunlichen Geschichten mit zu uns: Einer kletterte auf Windräder, um diese zu reparieren; ein anderer lief den Jakobsweg. 

    Ausgeraubt in Mailand

    Um Mitternacht schließen wir die Teeausgabe und die Einsamen machen sich auf den Weg nach Hause, die Obdachlosen suchen sich ihre Quartiere. Ab jetzt sind beide Türen der Bahnhofsmission geschlossen und nur nach einer kurzen Kontrolle zum Selbstschutz lassen wir Menschen in Notsituationen hinein. Anja telefoniert mit einer einsamen Frau, die oft von zu Hause aus anruft und ein bisschen reden möchte. Ich putze die Tische und die Theke, da klingelt das zweite Telefon. Die Polizei aus Neu-Isenburg meldet eine Frau aus Bulgarien, die mit mehreren Taschen unterwegs aufgegriffen wurde. Sie sei in Mailand ausgeraubt worden und hätte vergeblich auf einen Freund gewartet. Auch diese Frau nehmen wir während der Nacht bei uns auf. 

    Pech beim Couchsurfing

    Ich ziehe los zu meinem Rundgang durch den Bahnhof: Manchmal entdecke ich dann gestrandete Reisende. Andere finden den Weg direkt zu uns über den Info-Punkt der Deutschen Bahn. Als ich zur Mission zurückkehre, hat Anja gerade einen jungen Mann aus Mazedonien aufgenommen, vergeblich hat er auf seinen Gastgeber mit Bett vom Couchsurfing gewartet. Er schläft sitzend am Tisch und hat seinen Kopf auf ein Kissen gelegt. 

    Ein Deutscher, aus Thailand abgeschoben 

    Auch das gehört zur Arbeit in der Bahnhofsmission: putzen, die Statistik führen oder die Umsteigeaufträge eintragen. Eine gute Gelegenheit, um an erstaunliche Geschichten der letzten Wochen zu denken. Mir kommt Martin* in den Sinn. Der Mann um die 40 kam abends zur Mission. Er hatte während der letzten Jahre in Thailand gelebt und arbeitete dort als IT-Berater. Er erzählte, dass er durch eine nicht vertrauenswürdige Visa-Agentur Probleme bekam und daraufhin mehrere Wochen in Abschiebehaft saß. Von einem solchen Fall habe ich inzwischen zum dritten Mal gehört: Wer als Deutscher in Thailand lebt und Fehler macht, landet offensichtlich relativ schnell im Gefängnis. In der Abschiebehaft hatte Martin 15 Kilo abgenommen, was er mir anhand von Fotos veranschaulichte. Freunde in Thailand hatten für ihn zusammengelegt und ihm den Flug zurück nach Deutschland gezahlt, wo er nur mit einem kleinen Koffer angekommen ist. 

    Zurück zur Familie

    Martin hatte mit seiner Mutter Kontakt aufgenommen, die er schon jahrelang nicht mehr gesprochen hatte. Martins Mutter bot ihm an, zu ihr nach Hause zu fahren und dort unterzukommen. Dabei erfuhr Martin: Sein Vater liegt im Sterben. Manchmal, dachte ich, geschehen solche Dinge vielleicht nicht zufällig. Mittellos wie Martin in diesem Moment war, haben wir ihn mit Tee und einem Brot verpflegt. Die Bahnhofsmission finanzierte ihm auch ein Bus-Ticket für den nächsten Morgen in Richtung Norden. Ich bot Martin an, kurz seine Mutter anzurufen und seine Ankunftszeit mitzuteilen. Obwohl dieser Mann 20 Jahre älter als ich war und in einer völlig anderen Situation steckte, hat mich das Telefonat gerührt. Solche Gespräche mit Müttern verbinden fast alle Söhne dieser Welt. Er sagte: „Bis 17 Uhr dann, Mami. Ja, ich kenne den Weg noch.“ Martin schlief einige Stunden auf einer der Matten. Am nächsten Morgen verabschiedeten wir uns. Martin stiegen die Tränen in die Augen und wir umarmten uns zum Abschied. Zwei Wochen später meldete sich Martin noch einmal per Mail: Er werde bald eine eigene Wohnung haben, habe sein Arbeitslosengeld beantragt und seinem Vater gehe es wieder besser. 

    Hand in Hand mit den ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen

    Um fünf Uhr weckt Anja behutsam die Gäste. Ohne die Hilfe der ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen könnten wir den Nachtdienst nicht aufrechterhalten. Die hauptamtlichen und ehrenamtliche Mitarbeiter leisten meist die gleiche Arbeit. Nur die Verantwortung für die Kasse und für die Entscheidungen trägt der Hauptamtliche. Das unterstützt die Ehrenamtlichen: Sie können Verantwortung abgeben und somit die Nacht manchmal etwas leichter nehmen als ich. Das wichtigste ist jedoch: Wir müssen uns zu zweit im Dienst aufeinander verlassen. Manchmal müssen Situationen deeskaliert werden oder die Polizei und der Rettungsdienst alarmiert werden. Ich frage Anja, warum sie mehrere Stunden nachts am Bahnhof absitzt. „Ich sitze den Dienst ja nicht ab, sondern mache das freiwillig. Die zehn Stunden haben immer viel zu bieten“, antwortet Anja. 

    Heute verabschiede ich Anja bereits um kurz nach fünf Uhr morgens in den Feierabend. Bis sieben Uhr räume ich auf und bereite Unterlagen für den Frühdienst vor. Nachdem ich die Kollegen des Frühdienstes begrüßt habe, mache ich mich auf den Heimweg. Manchmal entdecke ich im Bahnhof noch einen Gast aus der Nacht. 

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