Dekanat Vorderer Odenwald

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    Suchtkrankheit

    Am Dienstag – Blick auf die Drogenszene am Bahnhof

    forest woodward/istockphoto.comJunger mann mit ProblemenDer Weg aus der Abhängigkeit – unendlich schwer, trotz bestem Willen und zahlreicher Hilfen (Sybmbolbild)

    Die Bahnhofsgegend ist auch Treffpunkt der Drogenszene. Wie können reisende Eltern ihrem Kind das Elend erklären und es davor schützen? Ein Sozialarbeiter aus dem Bahnhofsviertel gibt seine Erfahrung weiter. Zudem erzählt ein Drogenabhängiger seine Geschichte.

    Text: Peter Krauch, Rita Deschner

    Auf dem Weg zwischen Gleis, den Unterführungen und dem Ende der Kaiserstraße, gegenüber dem Frankfurter Hauptbahnhof, fällt der Blick auf Menschen mit fahlen, erschöpften Gesichtern. Die Drogen-Szene rund um den Bahnhof ist nach wie vor präsent. Junkies stehen an den Ecken, Dealer bieten ihren Stoff an. Um den Abhängigen zu helfen, setzt die Stadt auf den „Frankfurter Weg in der Drogenpolitik“. Er verfolgt einen akzeptierenden Ansatz, das heißt beispielsweise, dass Langzeitsüchtige in „Drückerstuben“ ihre Drogen konsumieren können. Ziel ist es, die Gesundheit der Drogenabhängigen zu fördern und so beispielsweise HIV-Infektionen zu verhindern. Zudem soll die Bevölkerung vor Beschaffungskriminalität geschützt werden.

    Es kommt vor, dass auch Drogenabhängige das Diakoniezentrum Weser5 im Bahnhofsviertel aufsuchen. Der stellvertretende Leiter und Sozialpädagoge Volker Landgraf erklärt im Interview, wie Passanten mit der Situation umgehen können, was die Ursachen der Drogensucht sein können und wie sich vorbeugen lässt.

    Doch bevor der Experte zu Wort kommt, schildert Jens*, seit rund zehn Jahren heroinabhängig, seine Geschichte. Er hatte sie dem Sozialhelfer und Journalisten Peter Krauch während seiner Dienstzeit Mitte Juli 2016 in der Bahnhofsmission an Gleis 1 erzählt.

    Die Geschichte des 34-jährigen Jens*: 

    Meinen ersten Kontakt hatte ich mit 17 zu Cannabis. Erst habe ich jede Woche einmal gekifft. Dann drei Mal die Woche und dann ist es täglich geworden. Das hat in Holland angefangen auf einer Freizeit. Ich bin mit den Leuten damals in diese Coffee-Shops. Als ich dann jeden Tag gekifft habe, ist es schon zum Problem geworden. Kiffen macht faul und müde und die Ausbildung wurde zum Kampf. Ich habe die Ausbildung mit Ach und Krach geschafft, es war knapp, sehr, sehr knapp. Als ich dann im Job war, habe ich meistens nach Feierabend einen Joint geraucht, dann aber auch vor der Arbeit. Da wurde das Kiffen zum Problem. Danach bin ich auf Amphetamine gestoßen, die fit machen, da war ich 21 Jahre. Dazu kam noch die ganze Techno-Szene zur damaligen Zeit. Ecstasy, Pilze, LSD – ich habe alles durchprobiert. Das war dann ein Teufelskreis: ich musste kiffen, um von den Amphetaminen wieder runterzukommen. Vom Kiffen wurde ich müde und musste mich mit Amphetaminen wieder aufzuputschen.

    Dann habe ich Heroin probiert, nachdem ich fünf Jahre gearbeitet habe. Und das Heroin, das brachte mich runter, ohne dass ich mich wieder aufputschen musste. Zu Beginn habe ich eine sehr gute Leistung gebracht. Aber ich konnte nur noch gut mit den Drogen arbeiten – ohne ging es nicht mehr.

    Kampf gegen den Rückfall

    Ich habe nach einem Aufenthalt im Gefängnis gegen den Drang angekämpft, wieder Heroin zu konsumieren. Das waren zwei oder drei Wochen. Ich wollte es weiter durchziehen, aber dann konnte ich nicht mehr und habe wieder Heroin probiert. Ein Rückfall. Ich habe bisher fünfmal entgiftet. Ich kenne Leute, die haben über 20 Entgiftungen hinter sich und das hat nichts gebracht. Was mir wichtig ist noch zu sagen: Ich habe – im Gegensatz zu anderen - nie gespritzt. Wissen Sie, wenn man schon unten ist und auf der Straße lebt, dann muss man nicht noch weiter runter.

    Heute denke ich mir immer wieder: Warum bin ich rückfällig geworden? Dann denke ich mir, dass ich doch auch gekämpft habe – aber es hat nicht geholfen. Manchmal bin ich echt verzweifelt und weiß nicht, was ich machen soll. Ich muss jetzt aber irgendetwas machen, ich bin jetzt 34, da kann man noch was machen. Wenn ich noch ein paar Jahre so weitermache, dann ist es schlecht. Aber es ist sehr, sehr, sehr schwierig. 

    Jens´ Botschaft an junge Leute

    Leider kann ich selbst die Zeit nicht mehr zurückdrehen und mich neu entscheiden. Jemanden, der heute mit Drogen anfangen will und nicht weiß, was auf ihn zukommt – was sollte ich so jemandem raten? Das ist sehr schwierig, weil er vielleicht nicht glauben kann oder will, was ich ihm erzähle. Ich würde sagen: Lass es lieber. Es ist nur sehr schwer rüberzubringen, wie sich ein Entzug anfühlt. Das wissen auch die Therapeuten nicht. Klar ist Heroin bei den ersten Malen angenehm und man meint, es sei nicht schlimm. Aber dann kommt die Sucht. Heroin ist die Droge, die für mich den größten Kick gibt. Aber leider auch die Droge, die die größte Abhängigkeit macht. Der körperliche Entzug ist schrecklich. 

    Trotzdem: In fünf Jahren würde ich gerne arbeiten und von der Straße weg sein. Vielleicht eine kleine Wohnung oder ein Zimmer. Ohne Drogen. Ich weiß noch nicht, ob ich es hinkriege. Aber wenn ich es hinkriege, dann wäre es eine Meisterleistung. 

    Diakonie als Anlaufstelle für Menschen in Not – auch im Bahnhofsviertel

    Volker Landgraf leitet stellvertretend das Diakoniezentrum Weser5 im Bahnhofsviertel. Die evangelische Einrichtung gilt nicht als Drogenhilfeeinrichtung, jedoch suchen auch Abhängige das Hilfsangebot auf. Volker Landgraf kennt ihre Anliegen.

    Wie hilft Weser5 einem drogenabhängigen Menschen wie Jens, wenn sie anklopfen?

    Volker Landgraf: Wir verstehen uns in erster Linie als Einrichtung der Wohnungslosenhilfe. Stark Abhängige verweisen wir auf spezielle Einrichtungen. Allerdings gehört zu unseren Angeboten auch der Tagestreff, eine niedrigschwellige Anlaufstelle, in der sich Menschen in Not waschen, PCs benutzen können und sehr günstig ein warmes Essen erhalten. Wer sich an unsere Regeln hält – also keine Drogen dealt und sie auch in unseren Räumen nicht konsumiert, kann sich als chronisch Suchtkranker in unserem Tagestreff aufhalten und dort mit dem Sozialarbeiter sprechen. Menschen mit einer Drogenabhängigkeit vermitteln wir dann an die professionelle Drogenhilfe weiter. In Frankfurt haben wir ein gut funktionierendes Hilfesystem

    Könnte die Hilfe für Drogenabhängige in Frankfurt weiter verbessert werden?

    Volker Landgraf: Jens macht mit seiner Geschichte deutlich, dass es Drogenabhängige gibt, die viele Entgiftungen und Therapien hinter sich haben – und trotzdem gelingt der Absprung nicht, obwohl der Wille da ist. Deshalb wird an Schwerstsuchtkranke in Frankfurt auch Heroin abgegeben, wenn der Ersatz mit Methadon nicht mehr ausreicht. Mein Eindruck ist, dass sich dieses Konzept bewährt hat und stärker gefördert werden sollte. Denn der Stoff, den die Abhängigen dann erhalten, ist von höherer Qualität, dadurch können manche sogar wieder bedingt arbeiten, die Beschaffungskriminalität sinkt und das Gesundheitssystem wird entlastet. 

    Stichwort Beschaffungskriminalität: Sind Reisende am Bahnhof dadurch von Diebstählen betroffen?

    Volker Landgraf: Beschaffungskriminalität ist ein Thema. Sie sollten sich wie in jeder Großstadt und jedem anderen großen Bahnhof schützen: Spät abends dunkle Ecken meiden, sich an beleuchteten, gut besuchten, öffentlichen Orten aufhalten, Tasche geschlossen halten und das Portemonnaie nicht locker in die Hosentasche stecken, sondern gut geschützt verwahren.

    Wenn eine Mutter oder ein Vater mit ihrem Kind an einem elend aussehenden Drogenabhängigen vorbeikommt: Was können sie dem Kind erklären?

    Volker Landgraf: Mit meinen Kindern habe ich auch darüber gesprochen. Ich habe ihnen erklärt, dass diese Leute eine schwere Erkrankung haben und nicht klar durch die Drogen denken können. Dadurch geraten sie in einen Zustand, der ihren Körper und den Kopf kaputt macht. Ich erkläre aber auch, dass es Leute gibt, die den Abhängigen helfen. Ich würde allerdings nur mit einem Kind sprechen, wenn es eine solche Szene wahrgenommen hat oder einen darauf anspricht.

    Können Eltern verhindern, dass das eigene Kind später drogenabhängig wird?

    Volker Landgraf: Gerade Eltern als engste Bezugspersonen können dazu beitragen! Es ist wichtig, dass sie ihren Kindern guten Schutz bieten, sie fördern, damit sie sich zu selbstbewussten Persönlichkeiten entwickeln. Eine gute Beziehung zu den Eltern, aber auch angemessenes Loslassen, sind der beste Schutz, damit Jugendliche und junge Erwachsene keine Ersatzmittel zur Problembewältigung suchen. Kinder und Jugendliche sollten lernen, mit Problemen umzugehen, etwas auszuhalten, aber auch in der Lage sein, sich Hilfe bei Vertrauenspersonen zu holen, beispielsweise, wenn sie Probleme in der Schule haben. Jugendliche, die keinen Vertrauten haben, sind gefährdeter.

    Warum werden Menschen drogenabhängig?

    Volker Landgraf: Pauschal lässt sich das nicht erklären. Auffällig ist allerdings, dass ein großer Anteil der Drogenabhängigen sexuellen Missbrauch erlebt hat. Gerade viele der schwerst drogenabhängigen Frauen haben massive Missbrauchserfahrungen gemacht. Das Erlebte und die damit verbundenen Emotionen lassen sich anfangs durch Drogen unterdrücken und damit besser aushalten. Das führt allerdings in eine Sackgasse. Es kristallisiert sich heraus: Je länger und schwerer der Missbrauch in der Kindheit und Jugend war, desto länger dauert die Sucht und/oder die psychische Erkrankung. Umgekehrt lässt sich daraus übrigens kein Schluss ziehen: Nicht jeder Drogenabhängige wurde missbraucht.

    Was würden Sie einem Jugendlichen sagen, der überlegt, Drogen auszuprobieren?

    Volker Landgraf: Das ist eine sehr gefährliche Sache. Er sollte auf jeden Fall über Alternativen nachdenken, denn jede Droge birgt Suchtpotential und kann gefährliche Nebenwirkungen haben und Herzrasen, das Auslösen einer Psychose und mehr verursachen. Da manche Menschen anfälliger als andere reagieren ist die Gefahr groß, in eine Suchtspirale zu geraten. Der Ausstieg ist dann sehr schwierig und gelingt teilweise gar nicht. Und währenddessen ist viel Zeit verstrichen, in der das dahinterstehende Problem nicht angepackt werden konnte, Ausbildung und Beruf sind ins Hintertreffen geraten und die Lebensfreude ist oft auf der Strecke geblieben. Ich würde dem Jugendlichen anbieten: Lass uns lieber darüber reden, was dich eigentlich stresst oder bedrückt. 

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