Dekanat Vorderer Odenwald

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    Seelsorge schenkt Hoffnung

    Tränen der Kriegskinder über den Ukraine-Krieg

    privatAltenheimseelsorger Christian WienerAltenheimseelsorger Christian Wiener

    Bei Menschen, die älter als 77 Jahre sind, kann der zweite Weltkrieg traumatische Spuren hinterlassen haben. Wie reagieren die damaligen Kriegskinder auf den Krieg in der Ukraine? Aufmerksam nimmt Pfarrer Christian Wiener als Altenheimseelsorger wahr, was die Seniorinnen und Senioren bewegt. Als der aktuelle Krieg in einem Gottesdienst thematisiert wurde, flossen bei vielen die Tränen. In Seelsorgegesprächen und bei Gebeten schenkt Christian Wiener wieder Hoffnung.

    Laut dem Psychoanalytiker und Altersforscher Hartmut Radebold haben Menschen, die den zweiten Weltkrieg als Kind erlebt haben, drei bis vier traumatische Erlebnisse durchmachen müssen. Zum Beispiel Gewalterfahrungen: Verletzungen, Erschießungen, Vergewaltigungen. Viele von ihnen haben Bombenangriffe und/oder Ausbombungen erlebt, aber auch Evakuierung und Kinderlandverschickung. Allerdings hat nicht jedes dieser Erlebnisse zur einer posttraumatischen Belastungstörung geführt, beispielsweise konnten eine gute Mutter-Kind-Beziehung oder eine heile Großfamilie schützend wirken. Der Altersforscher gibt an, dass nach heutigen Maßstäben rund 30% der damaligen Kriegskinder als traumatisiert angesehen werden. Der aktuelle Krieg in der Ukraine wirft die Frage auf, inwieweit die Kriegsbilder alte Tramata der Kriegskinder-Generation triggern oder gar zu einer Retraumatisierung führen.

    Seelsorgerlich die Reaktionen auf den Krieg in der Ukraine begleiten

    Altenheimseelsorger Pfarrer Christian Wiener nimmt achtsam das Verhalten der Seniorinnen und Senioren wahr. Allerdings ist er kein Psychotherapeut, der Traumata bearbeitet. Aber er bietet als Seelsorger seine Begleitung an und reagiert auf Wünsche nach Gesprächen. Dabei hat er bemerkt: "Sichtbar ist, dass der Krieg eigene Erinnerungen und Erfahrungen wieder hervorholt." Wie unterschiedlich die Menschen auf den Krieg in der Ukraine reagieren, erlebt er in den beiden großen Seniorenresidenzen Augustinum Bad Soden und Altkönig-Stift in Kronberg sowie im Pflegeheim Kaiserin-Friedrich-Haus in Kronberg.
    Er berichtet ganz persönlich über seine Erfahrungen:

    Abwehr bei tief sitzenden Fluchterfahrungen

    Eine Seniorin in der Karwoche: In einem Gespräch im Rahmen der allgemeinen Seelsorge sagt sie, nicht dement, innerhalb von zehn Minuten mindestens vier Mal, dass jetzt zu der Corona-Problematik der Krieg gekommen sei. Das sei doch jetzt wirklich genug, aber: „Darüber wollen wir jetzt nicht reden“. Bei diesem, sich wiederholenden Satz, bewegt sie abwehrend die Hände. Es wird deutlich, dass hier ihre eigenen Erfahrungen tief sitzen, sie aber nicht daran rühren kann. Aus vorhergehenden Gesprächen kenne ich die Fluchtgeschichte der über 90 jährigen Dame.

    Seelsorge als Zeichen gegen Hoffnungslosigkeit

    Bei einem Geburtstagsbesuch in der Passionszeit kommt der Jubilar direkt nach der Gratulation auf das Thema Krieg und erzählt, wie schrecklich der Krieg für die Menschen in der Ukraine ist, und wie unmöglich es ist, in der heutigen Zeit einen Krieg zu führen. Ihm tun die Menschen leid, besonders die Kinder. Es wird deutlich, dass die Erinnerung an den Krieg ihn in einen emotionalen Ausnahmezustand bringt, es „sprudelt“ förmlich aus ihm heraus. Er sieht wenig Hoffnung auf Frieden. Als Seelsorger sehe ich es als meine Aufgabe, zuzuhören, wahrzunehmen und die Hoffnung einzubringen, dass über unser Bemühen hinaus, es einen Weg zum Guten geben wird.

    Tränen fließen

    Wenige Tage nach Ausbruch des Krieges, am Aschermittwoch,  feiere ich einen Gottesdienst im Pflegeheim. Ich vergewissere mich vorher bei einer Mitarbeiterin, dass der Krieg auch hier Thema ist. Ich lege in dem Gottesdienst einen besonderen Akzent auf den Segen, den ich einzeln zuspreche. Viele Menschen, auch jene, die ich als dement kenne, weinen.

    In den vergangenen Wochen habe ich so viele Erlebnisse der Menschen in Alteneinrichtungen gehört, wie niemals zuvor. Neben den Kindheitserlebnissen der alten Menschen sind es auch Erfahrungen, die Mitarbeiter:innen in anderen Kriegen gemacht haben, so z.B. im Balkankrieg.

    Schwieriger Umgang mit Scham und Schuld

    In einzelnen Trauergesprächen der vergangenen Wochen haben auch Angehörige erzählt, was sie sie vom Leben der Verstorbenen in den Kriegszeiten erfahren haben. In Erinnerung ist mir das Erzählen einer Tochter, die erzählte, dass ihr Vater vom Krieg gesprochen habe, als sei es für ihn als Soldat ein Ausflug gewesen. Wenn sie dann nachgefragt habe, sei ihr Vater jeweils verstummt und habe einmal (!) gesagt, dass es furchtbar gewesen sei. Hier klingt an, dass insbesondere bei Hochaltrigen auch Scham und Schuld (eigene Schuld oder auch Scham über die Nazi-Vergangenheit der Eltern) mitschwingen.

    Achtsam auf Kommunikationsbedürfnis eingehen

    Ein  wichtiges Element meiner Arbeit ist das Gebet, individuell, im Gottesdienst oder in gesonderten Friedensgebeten. Hier geht es darum, das, was uns bewegt und was wir nicht lösen können, vor Gott zu tragen. Inwieweit das im Einzelnen im Wortsinn eine Traumatisierung ist, will ich nicht festlegen. Sichtbar aber ist, dass der Krieg eigene Erinnerungen und Erfahrungen wieder hervorholt.

    Ich mache die Erfahrung, dass es gut ist, auf die Resilienzerfahrungen der Menschen zu achten und die Signale wahrzunehmen: Will jemand erzählen oder will jemand in diesem Moment gerade nicht erzählen. Traumata, mit denen die Menschen häufig seit Jahrzehnten leben, habe ich in den vergangenen Wochen nicht bearbeitet – wohl aber begleite ich Menschen als Seelsorger.

    Kirche für Seniorinnen und Senioren

    Ansprechpersonen - Altenseelsorge in Hessen und Nassau

    [NH/red]

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