Dekanat Vorderer Odenwald

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    Interview mit Autor Andreas von Heyl

    Burnout als Pfarrer - ein Tabu?

    Kreuz Verlag

    Prof. Dr. Andreas von Heyl ist Autor von „Das Anti-Burnout-Buch für Pfarrerinnen und Pfarrer“. Selbst Pfarrer, kennt er sich mit den Anforderungen nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch aus. Im Gespräch mit Erika von Bassewitz erklärt er, warum auch Pfarrer von Burnout betroffen sein können.

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    privat

    Herr von Heyl, Sie sind selbst Pfarrer und haben mehr als ein Buch zum Thema Burnout geschrieben. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?

    Andreas von Heyl: Ich habe Ende der 90er Jahre eine Studie zum Thema Burnout in geistlichen Berufen begonnen. Damals hat in Deutschland eigentlich noch keiner davon geredet, dass Burnout eine Sache sein könnte, die Pfarrer, Diakone und Religionspädagogen betrifft. Das war damals eine wissenschaftliche Studie, mit der ich mich habilitiert habe. Und diese Studie hat, ohne dass ich das beabsichtigt habe, relativ viel Aufsehen erregt. Damit wurde zum ersten Mal etwas angesprochen, das latent relativ lange vorhanden ist, nämlich die Erschöpfungsproblematik bei Menschen in kirchlichen Berufen.

    Können Sie die Ergebnisse dieser Studie kurz zusammenfassen?

    von Heyl: Ich habe zehn Prozent der bayrischen Pfarrerschaft erfasst. Das Ergebnis dieser Studie vor etwa zehn Jahren war, dass von diesen zehn Prozent etwa die Hälfte als burnout-gefährdet anzusehen war. Die Problematik hat sich in den letzten zehn Jahren verschärft. Es sind heute eigentlich in allen Landeskirchen mehr Personen betroffen. Den Nordkirchen geht es in dieser Problematik etwas schlechter, weil der Schwund der kirchlichen Bevölkerung dort stärker ist. Das ist natürlich für Pfarrerinnen und Pfarrer, die sich mit Herzblut bemühen eine gute Arbeit zu leisten, sehr frustrierend, wenn die Leute zunehmend mehr weg bleiben.

    Viele Kolleginnen und Kollegen fragen sich dann natürlich: Hängt das mit meiner Person oder meiner Art zu arbeiten zusammen? Das hängt oft gar nicht mit ihnen zusammen, sondern es sind gesellschaftliche Entwicklungen. Aber das nehmen sich viele Kollegen zu Herzen.

    Warum sind denn gerade Pfarrerinnen und Pfarrer gefährdet? Die haben doch recht komfortable Arbeitsbedingungen, ohne Leiharbeit, gute Gehälter und die Dienstwohnung gibt es noch obendrauf.

    von Heyl: Pfarrern geht es im Vergleich zu anderen Berufsgruppen objektiv gesehen eigentlich nicht schlecht, es sind auch andere Berufsgruppen noch stärker vom Burnout-Syndrom betroffen, beispielsweise Lehrer oder Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten.

    Bei den Pfarrern liegt die Problematik vor allem daran, dass Pfarrer hohe innere Selbstansprüche haben. Wer sich zum Beruf des Pfarrers entschließt, der will einerseits was erreichen, der will das Evangelium weiter tragen, der will Menschen begeistern für die Sache Christi, der will seine Sache aber auch hundertprozentig gut machen. Viele Kolleginnen und Kollegen haben eine sehr starke Über-Ich-Struktur. Das heißt, dass sie verschwiegene innere Botschaften haben: Ich muss meine Sache immer gut machen. Ich muss schauen, dass es allen Menschen in meiner Umgebung gut geht. Ich möchte letztlich von allen auch gerne gemocht werden.

    Und das führt dann zum Burnout?

    von Heyl: Burnout ist ja immer ein Zusammenwirken von strukturellen UND individuellen Voraussetzungen. Menschen mit einer Persönlichkeitsstruktur, die ich hier so ganz oberflächlich charakterisiert habe, drohen dann in den Burnout abzugleiten, wenn sie mit Arbeitsbedingungen konfrontiert werden, die eben doch sehr schwierig und herausfordernd sind. In der Kirche ist es eben im Augenblick so, dass immer mehr Stellen eingespart werden müssen, weil der Kirche das Geld fehlt. Die vorhandene Arbeit wird dann auf immer weniger Schultern verteilt. Das ist ein starkes strukturelles Problem, vor allem in Gebieten, die an sich schon strukturschwach sind.

    Das gibt es auch in anderen Berufen, ich möchte nicht den Eindruck erwecken, als wären die armen Pfarrer diejenigen, die die Geschundensten der ganzen Bevölkerung sind. Das ist bei weitem nicht so. Sie haben mit Recht gesagt, uns geht es finanziell gut.

    Burnout ist ja ein recht vager Begriff. Wie äußert sich denn ein Burnout?

    von Heyl: Das Phänomen äußert sich so, wie es das Wort beschreibt. Die betroffene Person ist dann einfach abgefackelt, da ist nichts mehr da. Das Selbstbewusstsein ist weg, sie kann nicht mehr adäquat auf Situationen reagieren, sie hat keinen rechten Zugriff mehr auf das Wissen, das sie im Laufe ihres Studiums und ihres weiteren Lebens angehäuft hat. Sie fühlt sich kaum in der Lage zu kommunizieren, sie fühlt sich eigentlich nur noch wie ein kleines armes Würstchen.

    Das Problem ist, dass Personen, die so etwas erleiden, sich oft dann nicht mehr vorstellen können, dass es noch einmal anders wird. Das ist genauso wie bei einer schweren Depression. Das macht die Sache so gefährlich. Da werden Menschen dann so verzweifelt, dass sie sich womöglich sogar das Leben nehmen oder zu Suchtmitteln greifen.

    Objektiv gesehen kann aber Menschen, die eine Depression oder ein Burnout-Syndrom haben, gut geholfen werden. Das dauert nur seine Zeit. Eine Therapie oder eine Kur für Burnout-Betroffene dauert etwa 12 Wochen, dann ist der Betreffende einigermaßen wiederhergestellt. Das Problem ist dann aber häufig, dass sich am Arbeitsplatz nichts geändert hat. Er kommt einigermaßen stabilisiert wieder zurück in die gleichen Arbeitsbedingungen. Und dann geht es möglicherweise wieder von vorne los. 

    Also sollte man die Stelle wechseln?

    von Heyl: Sollte man eigentlich, ja. Es kommt auf die Gemeinde an. Es gibt Gemeinden, die sehr barmherzig und sehr verständnisvoll sind, die signalisieren dem Pfarrer: Du hast Dich überarbeitet, wir verstehen das vollkommen. Kurier Dich aus, mach eine Therapie, und dann bist Du bei uns herzlich willkommen. 

    Aber normalerweise sind die Leute nicht so verständnisvoll. Viele haben auch insgeheim Angst, dass ihnen so etwas auch passieren könnte, und deshalb lehnen sie den Betroffenen erst recht ab. Dann wäre es im Grunde für den Pfarrer sinnvoll, die Stelle zu wechseln. Aber das geht oft nicht so leicht, wenn die Kinder in der Schule sind und die Frau in der Nähe des Wohnorts einem Beruf nachgeht.

    Was für strukturelle Änderungen würden Sie sich wünschen?

    von Heyl: Es sollte sich strukturell vor allem verändern, dass die Pfarrer nicht – wie es aktuell geschieht – immer mehr mit berufsfremden Aufgaben belastet werden. Bei vielen Pfarrern in der bayrischen Landeskirche ist es zum Beispiel so, dass sie schon mehr als 50 Prozent ihrer Arbeitszeit für Tätigkeiten aufwenden müssen, die mit dem eigentlichen Beruf nichts mehr zu tun haben, wie zum Beispiel Hausmeistertätigkeiten. 

    Ich war  in einer Gemeinde, da hatten wir zwölf Immobilen, also drei Kirchen, zwei Gemeindehäuser und noch weitere Häuser. Allein das Management dieser Immobilien hat schon die Kraft eines ganzen Pfarrers aufgesaugt und das frustriert natürlich auch. Viele Pfarrer fragen sich: Wozu habe ich eigentlich sechs oder sieben Jahre Theologie studiert? Und jetzt muss ich viele Dinge machen, die auch ein Hausmeister erledigen kann. Das müsste geändert werden. Und es müsste einen klareren Stellenschlüssel geben. Es müsste so sein, dass ein Pfarrer nicht mehr als 1800 bis 2000 Gemeindeglieder zu betreuen hat. 

    Gibt es eine Landeskirche, die vorbildlich agiert?

    von Heyl: Bei Pfarrern hat meine Kirche – die bayrische Landeskirche – einige wirksame, wenn auch etwas zaghafte Schritte unternommen. Sie haben seit zwei Jahren ein Programm aufgelegt, das „Atem holen“ heißt. Da können sich Kolleginnen und Kollegen, die sich am Ende fühlen, vier bis sechs Wochen lang aus dem aktiven Dienst zurückziehen. Sie werden angehalten, sich in die Nähe eines geistlichen Zentrums zu begeben, und sollen dort einfach unter geistlicher Begleitung versuchen, wieder auf die Beine zu kommen. Das ist eine Maßnahme. 

    Die andere ist die Einrichtung der Stelle eines Salutogenese-Beauftragten, also eine Stelle, die speziell dafür da ist, sich um Arbeitsgesundheit im kirchlichen Bereich zu kümmern.

    Warum hat das Prinzip des deutschen Pfarrhauses, das jederzeit für jeden offen steht, auch seine Nachteile?

    von Heyl: Das Ideal des deutschen Pfarrhauses, das in den letzten zwei-, dreihundert Jahren entstanden ist, gibt es in der Realität eigentlich nicht mehr. Im ländlichen Gebiet war das früher so, dass der Pfarrer mit dem Apotheker und dem Lehrer der einzige studierte Mensch im Dorf war. Das Pfarrhaus war eine Anlaufstelle für Menschen mit Problemen, was heute nicht mehr so der Fall ist. Heute gehen die Menschen zum Therapeuten oder zum Psychiater. 

    Das hat sich stark gewandelt. Allein dadurch, dass nahezu alle Pfarrfrauen, die früher in der Regel tatsächlich nur Pfarrfrauen waren, heute einem eigenen Beruf nachgehen und einfach nicht mehr die Zeit haben, sich auch um die Gemeinde zu kümmern. Viele Pfarrer leben heute auch alleine oder in anderen Sozialbeziehungen. Dieses klassische Gefüge, wo der Pfarrer der Pfarrherr im Dorf war und die Pfarrfrau sich um soziale Belange in der Gemeinde gekümmert oder den Kindergottesdienst geleitet hat, das gibt es heute alles gar nicht mehr.

    Aber in ländlichen Gebieten wird das oft noch von vielen Gemeindemitgliedern erwartet, dass das so sein soll und auch so zu sein hat. Das ist dann natürlich ein weiterer Anspruch, der an die Pfarrer herantritt, den sie eigentlich nicht mehr erfüllen können und auch nicht mehr erfüllen wollen.

    In ihrem Buch warnen Sie auch vor der fehlenden Abgrenzung von Berufs- und Privatleben.

    von Heyl: Die Gefahr besteht im Pfarrberuf ja sehr stark, weil er eng mit der Person verknüpft ist. Das, was ich beruflich mache, hinter dem stehe ich ja auch als Person. Ich habe ja meinen christlichen Glauben und will den auch weiter verbreiten. Da fällt dann eine Trennung zwischen Beruf- und Privatleben oft schwerer als in anderen Berufen. Ich lebe im Pfarrhaus und da kann es jederzeit sein, dass jemand anruft oder klingelt.

    Auch hier muss man  wieder relativieren, für andere Berufe gilt das auch. Ärzte, Politiker oder Manager zum Beispiel haben auch kaum ein Privatleben.

    Was raten Sie Menschen, die von Burnout bedroht werden?

    von Heyl: Es gibt ja diese Faustregel: Ein Gramm Vorbeugung ist es besser als ein Zentner Heilung. Man müsste schon im Vorfeld sensibel werden für diese Erschöpfungsthematik und man kann im Vorfeld sehr viel dagegen machen. 

    Die Faustformel heißt: Meditiation und Bewegung. Das sagen einem auch alle Ärzte, die damit befasst sind. Menschen, die regelmäßig meditieren, die sich vielleicht eine Viertelstunde am Tag zurückziehen, auf ihren Atem achten und richtig meditieren und sich regelmäßig, drei bis vier mal die Woche mindestens eine Stunde lang forciert bewegen, vielleicht 1000 Meter schwimmen oder eine Stunde walken, die erhöhen ihre so genannte Resilienz, also ihre Widerstandsfähigkeit sehr stark. 

    Wenn es dann geschehen ist, dann hilft nur, sich so schnell wie möglich in eine Therapie zu begeben. Denn die Dinge werden nicht von selbst wieder besser. Gerade bei Burnout braucht man dringend Begleitung. 

    Und man sollte im Vorfeld auf eine klare Trennung von Beruf und Privatleben achten. Man sollte lieber einen privaten Termin mehr in den Terminkalender schreiben als einen weniger. Man sollte vor allem darauf achten, dass das Leben nicht nur aus Arbeit besteht.

    Vielen Dank für das Interview.

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