Frauen-Fußball-WM
Stollenschuhe statt High Heels
Bild: © 2019 Getty Images, skynesher
13.06.2019
red
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Auf der Startseite eines bekannten Fußball-Online-Magazins fehlte die Vorberichterstattung über die Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft noch am Freitagmittag – dabei startete sie an diesem Tag. Stattdessen ging es um den Kader des Männer-Teams für die U-21-Europa-Meisterschaft, die aber erst neun Tage später begann. Erst über die zweite Navigationsebene sind Berichte über das große Frauen-Turnier zu finden: Die weiblichen Teams von 24 Nationen werden ab dem 7. Juni in Frankreich um den Sieg kämpfen. Wie das Beispiel aus dem Internet zeigt, hat der Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung im Frauenfußballs im Jahr 2019 nichts an Aktualität verloren. Seit den ersten Spielen stehen die Berichte über die Frauen-WM nun auch prominent auf der Startseite des Magazins.
Den Kampf und die Gleichberechtigung zeigt auch der Werbespot der deutschen Nationalmannschaft für einen Sponsor, der im Vorfeld der WM veröffentlicht wurde. „Wir spielen für eine Nation, die unsere Namen nicht kennt. Seit es uns gibt, treten wir nicht nur gegen Gegner an, sondern vor allem gegen Vorurteile“, heißt es darin. Frech und selbstbewusst kommen Dzsenifer Marozsán, Melanie Leupolz und Co. in dem 90-sekündigen Clip daher, sie provozieren und polarisieren. Um etwas einzufordern, was ihnen trotz der großen Erfolge vergangener Jahre allzu häufig verwehrt bleibt: Eine faire Anerkennung ihrer Leistung.
Weltfußballerin Hegerberg fehlt aus Protest bei der WM
Laut Presseberichten haben auch in anderen Ländern die Fußballerinnen ihre Stimme erhoben. Bei der WM müssen die Fans auf die amtierende Weltfußballerin verzichten – die norwegische Fußballerin Ada Hegerberg reist aus Protest gegen ihren Fußballverband nicht nach Frankreich. „Fußball ist der beliebteste Sport in Norwegen für Mädchen und Jungen, aber gleichzeitig haben Mädchen nicht die gleichen Chancen wie die Jungen“, sagte sie dem „Guardian“. Im März haben in den USA alle 28 aktuellen Nationalspielerinnen den US-amerikanischen Fußballverband verklagt, da sie aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert würden und deutlich weniger Geld als die Männer erhielten. Außerdem würde der Verband dem WM-Titelverteidiger die gleichen Trainings,- Reise- und Spielbedingungen verweigern.
Schräge Fragen in der Sportschau
Eine Vorreiterin im Frauenfußball ist Bärbel Wohlleben. 1974 erlebte sie ihren persönlichen Triumph: Sportschau-Moderator Oskar Klose hatte sie als erste Frau für das „Tor des Monats“ ausgezeichnet. Doch dann sah sich die Fußballerin Wohlleben plötzlich mit Fragen konfrontiert, die heutzutage als sexistisch gelten würden. Wer denn kochen würde, wenn sie Fußball spiele, wollte Moderator Oskar Klose wissen. Außerdem sagte er: „Sie haben ja wirklich schon fußballerische Bewegungen. Das sieht alles sehr nett aus.“
Im ersten Finale um die deutsche Meisterschaft der Frauen hatte Bärbel Wohlleben für ihr Team TuS Wörrstadt zum 3:0 getroffen, am Ende stand es gegen DJK Eintracht Erle 4:0. „Die Worte passten in die damalige Zeit. Wir waren nichts anderes gewohnt“, sagt die Fußballerin heute.
Ringkämpfe gegen Jungen für einen Platz in der Mannschaft
Während ihrer Karriere hatte die heute 75-Jährige aus Ingelheim mehrfach Hindernisse im von Männern dominierten Fußballgeschäft überwinden müssen. Angefangen in der Jugend, wo sie sich einst mit Jungen in Ringkämpfen messen musste, um in deren Mannschaft mitspielen zu dürfen. Und bei ihrem ersten Training in Wörrstadt habe es lediglich einen Ball für die gesamte Mannschaft gegeben. Sie beschloss, nicht wieder zu kommen, ehe jede Spielerin einen eigenen Ball zum Üben bekam. Mit ihrem „Tor des Monats“ hat Wohlleben dem Frauenfußball Auftrieb verschafft zu einer Zeit, in der die Aufhebung des Verbots von Frauenfußball in Vereinen durch den Deutschen-Fußball-Bund (DFB) gerade einmal vier Jahre zurücklag. „Viele Frauen wurden aufmerksam und animiert, selbst Fußball zu spielen“ erinnert sie sich.
Parallelen zwischen Fußball und Kirche
Pfarrerin i.R. Helga Engler-Heidle weiß, welche Herausforderung es für Frauen sein kann, sich langfristig in ursprünglich von Männern dominierten Bereichen durchzusetzen - nicht nur im Fußball. Sie hat die Frauenbewegung in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) entscheidend mitgeprägt. 1975 - ein Jahr nach Wohllebens‘ „Tor des Monats“ - übernahm Engler-Heidle als Pfarrerin eine Pfarrstelle einer Frankfurter Gemeinde. Dort hatten die Kirchenmitglieder bisher nur Pfarrer erlebt. Damals sei sie zunächst nicht akzeptiert worden. „Ich habe mich durchgesetzt mit Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen. Wichtig war immer meine Überzeugung, dass ich den Menschen, für die ich in der Gemeinde und der Kirche da bin, wichtige Inhalte zu sagen habe.“
„Gute Strategien, Ausdauer und Diplomatie sind gefragt“
Ob in der Kirche, im Fußball, oder anderen Bereichen – dort, wo Frauen unterrepräsentiert oder benachteiligt seien, brauchen diese „ein starkes Selbstbewusstsein und Mitstreiterinnen und Mitstreiter“, so Engler-Heidle. Ihre Kollegin, Pfarrerin i.R. Ute Knie, hat konkrete Vorstellungen, was sich im Fußball verbessern müsste: "Ich möchte Parität im Frauenfussball. Gleiche Bezahlung und Prämien der Fussballerinnen wie für die Männer; gleiche exquisite Sendezeiten." Pfarrerin Ute Knie vertritt die Auffassung, dass es nicht Aufgabe der Frauen allein sei, für die gesellschaftliche Ankennung des Frauenfußballs zu sorgen. Pfarrin Engler-Heidle kennt noch einige Tipps aus eigener Erfahrung: „Ganz wichtig ist, dass Frauen gemeinsam ihre Ziele verfolgen, sich gegenseitig unterstützen und sich austauschen mit Männern. Gute Strategien, Ausdauer und Diplomatie sind gefragt, wenn sie ihre Ziele erreichen wollen.“ Als Beispiel nennt Engler-Heidle die Frauenbewegung in der EKHN, die aus der Initiative einzelner Frauen und deren Netzwerke entstand und „mit langem Atem viel erreicht hat.“
Problematisches Frauenbild in den Medien
Dass der Frauenfußball nach wie vor mit Vorurteilen zu kämpfen hat, liegt für Engler-Heidle auch „an dem Frauenbild, das insbesondere auch in den Medien gefördert wird.“ Die dort vermittelte Botschaft: „Frauen, die Fußball spielen, sind angeblich nicht weiblich. Sie sollen eher in High Heels daherkommen als in Fußballschuhen.“ Für junge Mädchen und Frauen seien Vorbilder, die das Gegenteil beweisen, daher umso wichtiger. Dabei müssen es nicht immer Spielerinnen sein. Bibiana Steinhaus pfeift seit 2017 als erste Schiedsrichterin Spiele in der ersten Bundesliga der Männer. Und Imke Wübbenhorst war im Dezember 2018 die erste Trainerin, die mit dem Fünftligisten BV Cloppenburg eine Männermannschaft in einer höheren Spielklasse übernahm.
Inspiration für junge Fußballerinnen
Und doch braucht es im Frauenfußball noch immer weit mehr als nur Talent und Fleiß, um dieselbe Anerkennung wie die Männer zu erlangen. Laut der „Global Sports Salaries Survey“ verdienen Spielerinnen der Bundesliga im Durchschnitt 39.000 Euro pro Saison. Die Männer bekommen 48.000 Euro – pro Spiel. Bärbel Wohlleben konnte von solchen Summen während ihrer aktiven Karriere ohnehin nur träumen. „Wir mussten damals alles selbst bezahlen“, sagt sie. Als sie bei Oberst Schiel spielte, bekam sie als einzige Spielerin Fahrgeld. Das ärgerte Wohlleben, sie wechselte den Verein. Es sind solche Eigenschaften, die jungen Fußballerinnen heute als Inspiration beim Kampf um Gleichberechtigung und gegen Vorurteile dienen können. Um das zu tun, was sie eigentlich wollen: Fußball spielen.
Große Aufgaben brauchen eine Prise Humor, wie Pfarrin Ute Knie findet. Als Fußballbegeisterte blickt sie deshalb durchaus zuversichtlich auf die Frauen-WM: "Ich wünsche Spielerinnen und der Trainerin eine super Resonanz, gutes Zusammenspielen, pfiffiges Taktieren, langen Atem, ausdauernde Belastbarkeit, gute Öffentlichkeit und Erfolg. Ich werde das verspottete Kaffeeservice* herausholen und beim Zuschauen meine Nachbarschaft zu einem gemischten Kaffeekränzchen einladen."
*1989 Prämie nach dem ersten EM-Titel, siehe Clip
[Sebastian Theuner / Renate Haller]
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