Dekanat Vorderer Odenwald

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    Erziehung - scheitern tabu

    Schüler und Eltern unter Erfolgsdruck (mit Video)

    istockphoto, ZinkevychAuch nach der Schule wird in vielen Familien noch gelerntAuch nach der Schule wird in vielen Familien noch gelernt

    „Ja, das ist ein Thema, das uns in den letzen Jahren zunehmend beschäftigt.“ Eine Schulpfarrerin und eine Psychologin einer Beratungsstelle der Diakonie sind sich einig: Schülerinnen und Schüler sind mit erheblichen Leistungsdruck konfrontiert. Deshalb wollen sie die Eltern ins Boot holen.

    „In den letzten Jahren kommen immer mehr Schülerinnen und Schüler zum Seelsorge-Gespräch. Viele empfinden einen massiven Leistungsdruck. Auch Schüler mit Einsern und Zweiern im Zeugnis kommen zu mir, die das Gefühl haben: Ich weiß nicht mehr weiter“, berichtet Swenja Müller, Schulpfarrerin am Evangelischen Gymnasium Bad Marienberg. Viele Schüler hätten Angst, nicht die gewünschten Noten mit nach Hause zu bringen. Als Schulseelsorgerin ist sie an die Schweigepflicht gebunden und damit vertrauen ihr viele Jugendlichen das an, was sie sonst niemandem erzählen. Besonders in der Zeit rund um die schriftlichen Abiturklausuren und vor den Halbjahreszeugnissen werde sie aufgesucht. „Leistungsdruck ist auch ein Thema vieler Familien in der Beratung“, bestätigt Psychologin Dr. Wersich. Sie ist Leiterin des Zentrums Beratung und Therapie des Diakonischen Werks Wiesbaden.

    Fast jeder zweite Schüler leidet unter Stress

    Die Erfahrungen der Psychologin und der Schulseelsorgerin decken sich mit aktuellen Studien. Laut dem Präventionsradar 2017 der Krankenkasse DAK leidet fast jeder zweite Schüler (43 Prozent) unter Stress. Dies wirke sich zum Teil auch negativ auf die Gesundheit aus. Ein Drittel der betroffenen Jungen und Mädchen litten unter Beschwerden wie Kopfschmerzen, Rückenschmerzen oder Schlafproblemen. Laut Techniker-Krankenkasse gaben 72 Prozent der Kinder im Alter zwischen acht und zehn Jahren sogar an, einmal oder mehrmals in der Woche an Erschöpfungszuständen zu leiden.

    Gymnasialbesuch ist zunehmend das Ziel 

    Ganz klar: An Gymnasien werden besondere Leistungsanforderungen verlangt. „Manche Schüler haben einen härteren Arbeitstag als ihre Eltern“, macht Schulpfarrerin Müller bewusst. Am Ganztagsgymnasium seien die Jugendlichen von halb sieben unterwegs, um halb Fünf zu Hause und um sechs Uhr stehe teilweise der nächste Termin für ein Hobby an. „Selbstverständlich achten wir als Schule darauf, dass es auch ruhigere Zeiten im Schulalltag gibt. Schüler, die Probleme haben, werden individuell gefördert und erhalten bestimmte Lerntrainings“, erklärt sie. Zudem habe die Schule die Herausforderung des hohen Leistungsdrucks erkannt und arbeite bewusst an Lösungen, beispielsweise seien Elternabende mit Referenten geplant. Schulseelsorgerin Swenja Müller bemerkt, dass auch manche Eltern zusätzlich einiges von ihren Kindern erwarten. Swenja Müller hat den Eindruck, dass die Meinung bei Eltern zunehmend Anklang findet: „Wenn mein Kind nicht aufs Gymnasium kommt, wird nichts aus ihm.“ Sie habe innerhalb von fünf Jahren erlebt, dass immer mehr Eltern von Grundschülern in der zweiten Klasse den Gymnasiumsbesuch zweifellos als Ziel anstreben. 

    Balance zwischen Laissez-faire und übermäßigem Druck finden

    Grundsätzlich sieht die Psychologin Dr. Wersich den Wunsch nach einer erfolgreichen Schullaufbahn für die eigenen Kinder positiv. Sie kennt die Sorgen der unterschiedlichsten Familien. Sie rät aber auch: „Wenn das Kind noch in der Grundschule ist, sollte man nicht schon das Abitur im Blick haben. Es entspannt, in kleinen Schritten zu denken.“ Eltern sollten sensibilisiert sein, wenn die Hoffnung auf eine bestimmte Schulkarriere sich nicht mehr auf die Fähigkeiten, die Stärken und Schwächen der Kinder bezieht. Zudem sollten auch die unterschiedlichen Entwicklungspotentiale und -geschwindigkeiten Berücksichtigung finden. „Es gibt auch Eltern, die sich bewusst sind, dass sie den selbst empfundenen Druck nicht eins zu eins an ihre Kinder weitergeben sollten“, so die Erfahrung von Dr. Regine Wersich. Sie weist drauf hin, dass auch durch Proteste von Eltern viele Bundesländer wieder die 9-jährige Gymnasialzeit  (G9) anbieten. In Hessen haben Schulen die Wahl zwischen G8 und G9, in Rheinland-Pfalz wurde G8 ohnehin nicht flächendeckend eingeführt, nur an Standorten, an denen Eltern, Schule und Schulträger dies auch wünschten. 

    Gefühlswelt der Kinder und Jugendlichen kennen lernen

    Schulpfarrerin Swenja Müller ermutigt Väter und Mütter im Alltag, sich in die Gedanken und Gefühle ihrer Kinder hineinzuversetzen. In Gesprächen reagierten Eltern oft betroffen, wenn ihnen klar werde, was sie bei ihrem Nachwuchs ausgelöst hätten. „Oft ist ihnen gar nicht deutlich, was eine Standpauke nach einer schlechten Note in ihrem Kind bewirkt“, hat die Schulseelsorgerin erfahren. Sie erklärt, dass Jugendliche in der Pubertät besonders verletzlich seien. Manche reagierten auf großen Druck mit offener Rebellion, andere wirkten besonders fügsam. 

    Den Wunsch, dass die eigenen Kinder erfolgreich im Leben bestehen, kennt Schulpfarrerin Müller, die auch Mutter zweier schulpflichtiger Kinder ist. Ebenso ist es Psychologin Dr. Wersich ein Anliegen, ihre Erfahrungen weiterzugeben. Beide möchten Eltern einige Impulse ans Herz legen.

    Impulse für Eltern:

    Beziehung stärken

    Ein Heranwachsender möchte das Gefühl haben, dass Eltern sich wirklich für ihn interessieren. Er möchte nicht den Eindruck haben, dass zum großen Teil eher seine Schulnoten wichtig sind. Es ist wesentlich, die Beziehung zum Kind als vielfältige Persönlichkeit zu stärken. Beruflich sind viele Eltern allerdings stark gefordert. Trotzdem lohnt es sich, am Abend eine Atmosphäre zu schaffen, in der das Kind gerne aus seinem Leben erzählt und nicht nur die Erfolge und Misserfolge des Tages abzufragen.  Ist die Beziehung gut, ist ein Kind auch eher bereit, sich von den Eltern helfen zu lassen oder dem Vorschlag zuzustimmen, Nachhilfestunden zu nehmen. Zudem sollten dem Kind auch eigene Wünsche für die Zukunft und das Leben zugestanden werden; nicht immer passen sie zu denen der Eltern.

    Emotionale Grundlage schaffen

    Um sich gut zu entwickeln, braucht ein Kind Rückhalt und das Wissen, das es um seiner selbst willen geliebt wird. Das Urvertrauen, dass Eltern bei Babies fördern und stärken müssen, ist auch in der Kindheit und Jugend fragil und braucht die Pflege der Eltern. Kinder sollten das Gefühl haben, dass sie zu Hause einen Raum haben, sich in verschiedenen Rollen auszuprobieren. Ein stabiles Selbst fällt nicht vom Himmel, sondern braucht Gelegenheiten, sich in vertrauten Zusammenhängen auszugestalten.  Wenn aber Eltern beispielsweise ihren Kindern bestimmte Hobbys verbieten, wenn die Noten nicht stimmen, wirkt sich dies auf das emotionale Gleichgewicht der Kinder eher ungünstig aus. Erfahrungen von Geborgenheit, Halt und Orientierung  stärken das Selbstbewusstsein der Kinder.  Kinder, die einen solchen Umgang erleben, ruhen in sich selbst, definieren sich weniger stark über die Schule. 

    Ohne übermäßigen Druck lernt es sich leichter

    Die größten Lernerfolge werden bei mittlerem Stress erzielt. Dann können Schülerinnen und Schüler einen klaren Kopf behalten und das Gelernte kann gut und im entscheidenden Moment abgerufen werden. Ist der Stress allerdings zu hoch, sinkt die Leistung wieder und es kann zu Blackouts kommen. Doch auch wenn gar keine äußere Motivation besteht, ist der Lernerfolg eher gering. Es macht also etwas aus, ob es Eltern wichtig ist, dass aus ihren Kindern etwas wird.

    Stärken stärken

    Es kommt vor, dass das Kind mathematisch nicht begabt ist – trotz Förderung. Es empfiehlt sich, das Kind für seine Schwächen nicht zu verurteilten. Sondern es lohnt sich, den Blick auf seine Stärken zu richten. Eltern sollten hier den Weg mit dem Kind gehen – erst einmal unabhängig, in welche berufliche Richtung er führt.

    Scheitern als Chance nutzen

    Wenn deutlich ist, dass es nicht bei einem verhagelten Test geblieben ist, macht es Sinn, aktiv zu werden. Am besten wird mit einem einzigen, neuen Schritt gestartet, z.B: Die Eltern fragen drei Vokabeln pro Tag ab. Auf diesen ersten Schritt können weitere folgen, wenn die Anforderungen dabei in kleinen Portionen angepasst werden, möglicherweise braucht es auch Nachhilfeunterricht. 

    Ein schulischer Misserfolg kann langfristig mit angemessener Begleitung auch zu einer positiven Entwicklung führen. Wenn Menschen erfahren, dass sie wieder aufgestanden sind, nachdem sie eine Niederlage erlebt haben, können sie aus einer solchen Erfahrung gestärkt hervorgehen, Ehrgeiz kann geweckt werden. Zudem sind Kinder oft in der Lage, die problematische Situation im Nachhinein aus einer anderen Perspektive neu einzuschätzen – und einen Gewinn für sich daraus zu ziehen, aus Fehlern zu lernen. Zudem kann dadurch auch mehr Mitgefühl mit Menschen in anderen schwierigen Situationen entwickelt werden. Allerdings ist auch klar: Wenn ein Kind das Gefühl hat, gescheitert zu sein, sollten die Eltern ihm auf dem folgenden Weg tröstend und motivierend beistehen.

    Keine Angst vor Fehlern

    Eine schlechte Note in einer Klassenarbeit ist kein Drama. Eltern können den Druck etwas herausnehmen - möglicherweise erinnern sie sich an eigene, eher ungünstige Noten in ihrer Schulzeit - und an das, was ihnen bis heute gelungen ist. Sie können ihrem Kind vermitteln, dass auch eine Drei eine passable Note ist - und selbst wenn es eine Fünf ist, kann die nächste Arbeit besser werden. Von einer Standpauke oder Schuldzuweisungen sollten Eltern absehen, sondern auf das Kind eingehen, es fragen, wie es ihm damit geht. Dann können sie gemeinsam mit dem Kind schauen, ob und in welcher Weise etwas verändert werden sollte.

    Ist das Kind grundsätzlich vom Lernstoff überfordert, kann Eltern der Gedanke helfen: Auch wenn das Kind mittelmäßig begabt ist, kann es ein glückliches Leben führen. Eventuell stellt sich die Frage, ob ein Klassenwechsel oder Schulwechsel sinnvoll sein kann. Das deutsche Bildungssystem bietet zahlreiche Wege, um zum passenden Abschluss zu kommen.

    Gespräch mit der Lehrerin oder dem Lehrer

    Störend für eine produktive Lernatmosphäre können auch Lehrerinnen und Lehrer sein, die ihren Ärger oder ihre Geringschätzung deutlich im Klassenzimmer ausdrücken. Es kommt auch heute noch vor, dass Schüler für ihre Fehler vor den Klassenkameraden abgewertet werden. Hilfreich kann hier ein Gespräch mit dem betreffenden Lehrer sein. Beraterin Regine Wersich ermutigt Schulen zu mehr Teamwork, denn Lehrerinnen und Lehrer stünden oft vor ähnlichen Herausforderungen - sprächen nur selten darüber und versuchten als Einzelkämpfer zu bestehen.

    Halt finden

    Wenn der eigene Nachwuchs die Eltern an die Grenzen bringt, können auch biblische Geschichten Halt und Orientierung geben. Dr. Regine Wersich empfiehlt die Bibelstelle „Nehmet einander an, wie Christus euch angenommen hat.“ (Römer 15,7). Sie erklärt den Grund: „Die Worte machen deutlich, dass das Kind erstmal völlig in Ordnung ist. Das gibt Zuversicht, in Kooperation ein Ziel zu erreichen.“ Schulpfarrerin Swenja Müller hat erlebt, dass das Gleichnis vom verlorenen Sohn neue Kraft gibt (Lukas 15,11). Sie erklärt: „Der Sohn hat alles verbockt und kommt dann nach Hause. Und er fürchtet, dass er auch sein zu Hause verloren hat. Aber der Vater nimmt ihn ihn die Arme und feiert ein Fest. Hier wird die Liebe deutlich, die Gott uns ans Herz legt. Denn auch Gott geht mit uns mit, ist an unserer Seite, auch wenn wir scheitern.“

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