Dekanat Vorderer Odenwald

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    Im Interkulturellen Training mit der Bundespolizei

    Konflikte? Erst einmal tanzen

    Erika von Bassewitz

    Welche Werte habe ich? Worin unterscheiden sich meine Werte von denen andere Menschen aus anderen Kulturen? – Diese und andere Fragen will das „Interkulturelle Training“ im Zentrum Ökumene der EKHN bewusst machen. Bei einem Training mit der Bundespolizei waren wir dabei.

    Erika von BassewitzPolizist Martienßen und Theologe Belinga Belinga im Rollenspiel

    Im Zentrum Ökumene der EKHN trainieren Bundespolizisten, wie sie im Umgang mit Ausländern Konflikte vermeiden können. Das „Interkulturelle Training“ wird von einem Pfarrer und einem Polizisten geleitet. Um Punkt acht Uhr morgens stehen sie zusammen am Eingang des Seminarraums und begrüßen jeden Teilnehmer persönlich. Auch mich, obwohl ich wegen einer Reifenpanne ein paar Minuten zu spät und mit ölverschmierten Händen ankomme.

    Bundespolizist und Pfarrer arbeiten zusammen

    Jean-Félix Belinga Belinga stammt aus Kamerun, er weiß, wie sich afrikanisch aussehende Menschen in Deutschland fühlen und wo die verschiedenen Wertesysteme zu Unmut führen können. Polizeihauptkommissar Jörg Martienßen hingegen arbeitet in der Aus- und Fortbildung bei der Polizei. Außerdem gibt er Trainings für die Rückführung von Ausländern.

    Die Bundespolizei am Flughafen Frankfurt am Main ist für die Kontrolle von Ein- und Ausreisewillige zuständig. Auch ist sie für die Sicherheitskontrolle der Passagiere verantwortlich. Dadurch kommen die Polizisten tagtäglich mit Menschen aus aller Welt in Berührung. Nicht selten kommt es zu Verständigungsproblemen, gelegentlich sogar zu Konflikten. Die Bundespolizei führt aber auch Rückführungen durch.

    Rückführung, so nennen die Polizisten die Abschiebung von Menschen, die Deutschland unfreiwillig verlassen, etwa weil ein Asylantrag nicht bewilligt wurde. Von Zeit zu Zeit werden die betroffenen Personen von der Polizei begleitet. Im Einzelfall können auch Fesseln eingesetzt werden.

    Martienßen arbeitet seit 1994 am Frankfurter Flughafen. Er weiß, mit wie viel Stress die Situation sowohl für die abzuschiebende Person, aber auch für den begleitenden Beamten verbunden ist. Menschen, die gehofft hatten, in Deutschland ein neues Leben beginnen zu können, müssen zurück in ihre Heimat, in der oft genug Armut und politisch schwierige Umstände auf sie warten.

    Tod bei Abschiebung

    In den Jahren 1994 und 1999 kamen zwei Menschen afrikanischer Abstammung bei begleiteten Rückführungen ums Leben.  Beide waren dreißig Jahre alt und hatten sich heftig gegen die Abschiebung gewehrt. Die Beamten nutzten Fessel an Händen, Knien und Füßen, einen Knebel im Mund und einen Gurt um die Brust. Laut Gutachten der Staatsanwaltschaft könnte zumindest einer der beiden womöglich noch leben, wenn die Beamten weniger gewaltsam agiert hätten. Die Medien berichteten.

    Lieber unterrichten als anklagen

    „Die Kirche hat damals gesagt: Wir können nicht nur anklagend und richtend auf die die Polizisten zeigen,“ erzählt der Theologe Belinga Belinga. „Viel sinnvoller ist es, Hilfe in Form von Fortbildungen anzubieten. So sollen sie in die Lage versetzt werden, ihre Aufgabe menschlicher zu verrichten. “ Seit 1999 finden jedes Jahr rund 15 Seminare statt, der Andrang ist groß.

    Hilflose Polizisten

    Ein gutes Dutzend junger Menschen sitzt auf Stühlen im Kreis. Die meisten tragen Jeans und Turnschuhe, wie man sich eben so kleidet, wenn man zwischen zwanzig und dreißig ist. „Ich habe oft Probleme mit Russen oder Chinesen bei der Einreise. Da weiß ich nicht mehr, wie ich reagieren soll“, erzählt Paul*. Ein Problem sei die Sprache, ein anderes die Kultur. „Die Chinesen respektieren ja oft nicht mal die Absperrung, die stellen sich nicht an, sondern drängeln einfach durch, “ ergänzt sein Kollege Denny*.

    Ordnung, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit sind beliebt

    In einer langen Vorstellungsrunde erzählt jeder einzelne, wo er herkommt und welche Werte ihm wichtig sind. Ordnung, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit werden sehr oft genannt. Außerdem scheinen die jungen Polizisten sehr viel zu planen. Ich bin spontan umgezogen, habe kurzfristig geheiratet und besitze ein entspanntes Verhältnis zu Zeit und Ordnung. Das weiß zwar niemand, trotzdem fühle ich mich fremd. Und ein bisschen bedroht.

    Bis eine junge Polizistin erzählt, warum sie sich für diesen Beruf entschieden hat: „Aus meinem Sportverein wurde mal ein Mädchen entführt und sechs Wochen von einem Sexualstraftäter in einer Kiste gehalten. Das hätte genauso gut ich sein können. So etwas will ich verhindern. “

    Die meisten Teilnehmer des interkulturellen Trainings haben ihre Wurzeln im Osten Deutschlands. Sie kommen aus Orten wie Stendhal, Eisenach oder Görlitz, manchmal auch aus dem Westerwald. Aber heimatverbunden sind sie alle. Eine Polizistin schwärmt so sehr von ihrer Heimatstadt Bad Hersfeld, dass ich spontan Lust bekomme, dorthin zu fahren.

    Bei Konflikten erst einmal tanzen

    Belinga Belinga geht auf jeden einzelnen ein, ohne zu werten fragt er interessiert nach. Martienßen sammelt die genannten Werte. Immer wieder erklären die Referenten, was Kultur bedeuten kann. Im ersten Rollenspiel des Seminars müssen die Bundespolizisten zwei Völker darstellen und miteinander verhandeln: Ein Naturvolk und ein Volk, das Deutschland in vielem ähnelt, sollen einen Kompromiss finden. Die Darsteller des Naturvolks haben viel Spaß, obwohl die Verhandlung für keine der beiden Seiten erfolgreich verläuft. Während das Naturvolk in kritischen Situationen die Gäste bei Musik und Tanz  immer wieder umarmt, gedeiht bei der industriell entwickelten Gruppe der Frust.

     „Es geht auch darum zu sehen wie mich andere wahrnehmen“, erklärt Belinga Belinga. „Wie wichtig sind denn für Südamerikaner Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit?“ Die Polizisten lachen. Auch in Belinga Belingas Heimat Kamerun gelten andere Werte als in Deutschland. „Wenn ich Dein Freund bin, dann kontrollierst Du mich an der Grenze nicht.“

    Eitelkeit wichtiger als Echtheit der Dokumente

    Als die Teilnehmer erklären sollen, wie man typische Konfliktsituationen mit Ausländern entschärfen kann, findet jede Gruppe auf Anhieb eine oder mehrere richtige Lösungen. 

    Martienßen verweist auf die anderen Denkweisen: „Als Südamerikaner klebt man eben mal ein anderes Bild auf den Ausweis, weil man da besser aussieht, und denkt sich nichts dabei.“ Den Fall hatte er. Belinga Belinga erklärt, dass man in anderen Ländern einfach anders denkt und appelliert an das Menschliche. Das scheinen die Teilnehmer schon verinnerlicht zu haben: „Gerade bei Asylbewerbern ist mir wichtig, dass es ihnen gut geht, dass sie genug Wasser getrunken haben. Und nicht, dass sie in eine Zelle kommen, “ erzählt Ninette. Martienßen hat einen anderen Schwerpunkt:  Im Alltag soll es möglichst wenig Reibungen geben, auch nicht, wenn das Gegenüber aus einem anderen Land stammt, die Sprache nicht spricht und nicht erkennt, dass man sich anstellen soll.

    Wenn sich alle so verhalten, wird Martienßen vielleicht Recht behalten, wenn er über die Abschiebungen von 1994 und 1999 sagt: „Was damals passiert ist, soll nie wieder geschehen.“

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