Kulturgut
Jugendstil-Schmuckstücke in den Kirchen im vorderen Odenwald
Peter PankninSchmuckvolles Detail des Lengfelder Antependiums von 1924. Charakteristisch für die Altarantependien des Jugendstil-Künstlers Ernst Riegel ist das „Riegelsche Kreuz“, ein griechisches oder Prankenkreuz.20.07.2022 sru Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Von Dr. Dörte Folkers
Ernst Riegel (1871-1939) war der Goldschmied der Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt, die seit kurzem UNESCO-Weltkulturerbe ist. 1906 wurde er dorthin berufen, als Großherzog Ernst Ludwig von Hessen die Kolonie um ein Lehratelier ausbaute. Der Großherzog betrieb aktive Kulturpolitik. Er erließ 1902 in Hessen das erste Denkmalschutzgesetz für ein Land. Seine Bezirksdenkmalpfleger empfahlen den Kirchengemeinden die liturgischen Geräte des Künstlers.
Im Ortskuratorium Wiesbaden der Deutschen Stiftung Denkmalschutz begannen wir 2020 mit einer Ausstellung von Riegels Arbeiten für die Wiesbadener Lutherkirche. Zum „Tag des offenen Denkmals”, der auf Riegels 150. Geburtstag am 12. September 2021 fiel, erstellten wir für über dreißig Kirchengemeinden Kurzvideos der nachgewiesenen Abendmahls- und Taufgeräte. Viele davon stehen noch im Netz unter dem Suchbegriff „150 Jahre Ernst Riegel“.
Neben Altargerät entwarf Riegel auch Antependien, das sind verzierte, bestickte Stoffe, die in den liturgischen Farben vor Altar, Kanzel und Lesepult hängen. Diese Arbeiten des Künstlers sind in der Literatur kaum bekannt, nur im Christlichen Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus erschien von David Koch 1913 ein Textbeitrag1 und 1914 ein Aufsatz mit acht Abbildungen2.
Herstellung in der Paramentenwerkstatt am Elisabethenstift
Gefertigt wurden Riegels Antependien in der Paramentenwerkstatt am Elisabethenstift in Darmstadt, auch noch nach seinem Wechsel 1914 nach Köln. Die Auftragsbücher der Werkstatt sind erhalten. 157 Aufträge aus 112 Gemeinden bezeichnen Riegel als Entwerfer. Von 199 dokumentierten Arbeiten nach seinem Entwurf können wir mehr als 84 nachweisen, vor allem im Gebiet des ehemaligen Großherzogtums, vom Vogelsberg bis in den Wonnegau.
Im Dekanat Vorderer Odenwald lassen sich Altargeräte Riegels zumindest bisher nicht nachweisen. Elf Antependien sind jedoch für die Zeit von 1911 bis 1930 mit zehn Aufträgen aus sechs evangelischen Kirchengemeinden dokumentiert, neun Objekte sind erhalten. Noch während seiner Zeit auf der Mathildenhöhe entwarf Riegel 1911 für Reinheim die schwarzen Kanzel- und Altarantependien sowie ein violettes Kanzelantependium und 1912 für Langstadt das schwarze Altarantependium; bei Koch 1913 sind beide erwähnt. Reinheim ergänzte 1929 ein Paar grüne Paramente. Vorher orderten 1921 Brensbach ein rotes und Spachbrücken ein grünes, 1924 Lengfeld ein grünes Altarantependium. Den Abschluss bildete 1930 Altheim mit je einem roten und violetten Altarantependium des Künstlers.
Charakteristisch: das „Riegelsche Kreuz“
Prägend für die Altarantependien ist das „Riegelsche Kreuz“, ein griechisches oder Prankenkreuz. Er zeigt es auch auf Altargeräten. Auf den schwarzen Altarantependien in Reinheim und Langstadt ist es in seiner schlichtesten Fassung verzeichnet; es war beliebt und wurde häufiger bestellt. In Reinheim sehen wir das Kreuz um die mittige Lutherrose ergänzt, die Kreuzarme zusätzlich ausdekoriert. Das rote Altarantependium in Altheim entspricht dem grünen in Brensbach: ein Kreuz mit geraden Armen, umgeben von einem reichen Dekor mit Pünktchen. Spruchantependien hängen in Reinheim an der Kanzel; sie zeigen eine klare, am Werkbund orientierte Schrift, die frühen Entwürfe sind ergänzt um geometrischen Dekor.
Je nach Ausführung kostete ein Altarantependium vor dem Krieg von 109 Mark an aufwärts, eines für die Kanzel ab 40 Mark, in heutiger Kaufkraft das Fünffache. In den 1920er Jahren wird es dann inflationsbedingt vierstellig. Die Arbeiten der Werkstatt waren keineswegs billig. Gelegentlich sind wie in Reinheim adelige Familien oder auch ein Frauenverein als Auftraggeber verzeichnet. Wir wissen nicht, ob solche Anschaffungen vielleicht von der Kirchenverwaltung ermutigt oder sogar gefördert wurden. Gibt es Hinweise in den Chroniken der Gemeinden?
Unbekannte Schätze
Es ist bemerkenswert, dass nach einem Jahrhundert alle bis auf das grüne in Spachbrücken und das violette in Altheim noch vorhanden sind. In keiner Gemeinde war bisher bekannt, dass sie mit ihrem Antependium ein Werk von Riegel besitzt. Nun sind die Arbeiten fotografiert, inventarisiert und für die Gemeindebriefe erläutert. Ihre Erhaltung ist unterschiedlich, manche Muster sind empfindlich, kleine Schäden kann die Textilwerkstatt restaurieren. Vielleicht werden sie einmal zusammen ausgestellt?
Geplant ist jedenfalls eine Buchveröffentlichung zur Dokumentation aller erhaltenen Antependien des Künstlers. Angesichts der Kosten ist das ein ehrgeiziges Vorhaben, denn Bildbearbeitung, Layout und Druck kann man nicht wie die vielen Recherchen auch noch im Ehrenamt erledigen. Auch kleinste Spenden für „Antependien Ernst Riegel“ sind daher willkommen.
VORTRAG
Das Werk des Jugendstilkünstlers Ernst Riegel wird am Donnerstag, 21. Juli, 17 Uhr, in der Pauluskirche Darmstadt, Niebergallweg 20, vorgestellt. Der Verein zur Förderung der Paramentik lädt zu dem öffentlichen Vortrag ein, den Dr. Dörte Folkers, Mitglied im Ortskuratorium Wiesbaden der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, und Marie-Luise Frey-Jansen von der Textilwerkstatt am Elisabethenstift halten. Dekanatskantor Wolfgang Kleber begleitet Präsentation und Vortrag mit Orgelmusik.
SPENDENKONTO
Verein zur Förderung der Paramentik e.V.
Sparkasse Darmstadt
IBAN: DE83 50850150 0002 0050 00
BIC: HELADEF1DAS
ZUR PERSON
Dr. Dörte Folkers ist Mitglied im Ortskuratorium Wiesbaden der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und forscht zu den Riegel'schen Antependien.
QUELLENANGABEN
1 Koch, David: Kirchengeräte, in: Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule und Haus 55 (1913), S. 337-40.
2 K., D. (David Koch): Paramente von Ernst Riegel in Köln, in: Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus 56 (1914), S. 282-88.
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