Israelis betreuen Flüchtlinge
Entwicklungshelfer für Deutschland
Gabriela Reff/epd
29.03.2017
esz
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In den ersten beiden Sitzungen der Frauengruppe sagt die 36-jährige Syrerin noch, alles sei in Ordnung. In der dritten Sitzung verliert sie die Fassung und fängt an zu schreien. Sie sei mit ihren sieben Kindern allein in der Flüchtlingsunterkunft in Frankfurt, erzählt sie. Ihr 60-jähriger Mann, ein syrischer Akademiker, wohne mit seiner anderen Frau, einer 25-Jährigen, und deren acht Kindern in einer Wohnung und besuche sie und die Kinder nur einmal in der Woche.
Frauen sorgen nicht für sich selbst
In der Gruppe gehe es nun darum, der Frau Selbstvertrauen zu vermitteln, berichtet die Sozialarbeiterin und Kindertherapeutin Tahrir Ghanayem. Die meisten der arabischen oder afghanischen Frauen seien es nicht gewohnt, selbst für sich zu sorgen oder ihre Zukunft zu planen. Ghanayem will sie dazu bestärken und hat Erfolg.
Ankommende erwarten das Paradies
Auch die Männer kommen in Deutschland in eine Identitätskrise, berichtet ihr Mann, der Sozialarbeiter und Psychologe Nadim Ghanayem. Sie erwarteten hier das Paradies, eine Wohnung und Arbeit, und finden sich stattdessen in einer Gruppenunterkunft und arbeitslos als Bittsteller wieder. Dazu hätten ihre Frauen auf einmal gleiche Rechte und sollten über sich selbst bestimmen können. »Die Männer fühlen sich entmannt«, sagt Nadim Ghanayem. Der Zusammenprall der Kulturen bringe Studien zufolge Depressionen, Aggressionen und Gewalt hervor.
Helfer sind idealistisch motiviert
Das Sozialarbeiter-Paar ist ein Glücksfall für drei Flüchtlingsunterkünfte in Frankfurt – ihre Muttersprache ist Arabisch, sie sind Muslime, aufgewachsen zugleich in der arabischen und in der westlichen Kultur, an der Universität ausgebildet und idealistisch motiviert. Sie sind Entwicklungshelfer für Deutschland – aus Beersheba in Israel. Nach einem dreiwöchigen Freiwilligeneinsatz in Berliner Flüchtlingsunterkünften war für das Paar klar, dass sie sich in Deutschland engagieren wollen.
Flüchtlinge freuen sich über arabische Gesprächspartner
Sie haben ihre Arbeit und ein Aufbaustudium unterbrochen und sind über die israelische Hilfsorganisation IsraAID im vergangenen Juli nach Frankfurt gekommen. Auch wenn in arabischen Ländern die Israeli als Feinde gälten, sei ihre Herkunft in der Regel kein Problem, sagt Nadim Ghanayem. »Die Flüchtlinge sind glücklich, dass wir arabisch sprechen und sie verstehen«, erklärt Tahrir Ghanayem. »Dann beginnen sie, Vertrauen aufzubauen.«
Kaum jemand kennt kulturellen Hintergrund
Eingefädelt hat den Einsatz die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. »Hierzulande gibt es zwar Übersetzer, aber kaum arabischsprachige Fachkräfte, die den kulturellen Hintergrund der Flüchtlinge kennen«, sagt der stellvertretende Direktor Aron Schuster. »Da können Israeli helfen.« Mit dem Frankfurter Projekt »Brückenbau« wolle die Zentralwohlfahrtsstelle zur Integration beitragen. Bezahlt wird der Einsatz aus einem Topf der Bundesflüchtlingsbeauftragten.
Sie kennen Themen der Flüchtlinge und westliche Gesellschaft
Die beiden Freiwilligen in Frankfurt seien eine wertvolle Hilfe, sagt der Vorstand des Johanniter-Regionalverbands Rhein-Main, Oliver Pitsch. Die Johanniter betreiben zwei der Unterkünfte, in denen die Ghanayems arbeiten. »Sie kennen die Themen der Flüchtlinge und sie kennen unsere Gesellschaft«, lobt Pitsch. So könnten sie den Flüchtlingen etwa erklären, dass sie für einen Arzttermin zum angegebenen Tag und genau zur vereinbarten Zeit erscheinen müssten, was in vielen Herkunftsländern unüblich sei.
Jens Bayer-Gimm/epd
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