Sensationeller Fund
Dautphe hat das älteste Dachgestühl Deutschlands
Klaus Kordesch
14.11.2014
pwb
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Pfarrer Dr. Reiner Braun spricht von einem „sensationellen Fund“. Auch Bauhistoriker Dr. Hans-Hermann Reck, dem der Nachweis gelang, ist begeistert: „Wir kennen rund 100 Dachstühle aus der Zeit vor dem 12. Jahrhundert, und davon ist dieser der älteste!“, berichtete er bei einem Pressetermin auf der Empore der Kirche, direkt unter den in Kreuzform zwischen den das Dach tragenden Sparren eingebauten fraglichen Balken. Eine noch ältere Dachkonstruktion sei ihm nur au dem französischen Cluny bekannt, sagte der Experte, der im Auftrag der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) seit 2006 historische Holzkonstruktionen in kirchlichen Gebäuden systematisch untersucht und erfasst. In rund 500 Kirchen, so schätzt der Wiesbadener, ist er dabei schon unters Dach gestiegen, ohne Vergleichbares zu finden.
Deshalb wollte er auch trotz vorher schon bekannter Hinweise zunächst selbst gar nicht an das außergewöhnliche Alter der Balken glauben, berichtet er: Im Kirchenführer der Martinskirche ist nämlich die Rede davon, dass das Dach aus dem Jahre 1092 stamme. Als 2006 der Dachstuhl saniert wurde, habe die Evangelische Kirchengemeinde Dautphe auf eigene Kosten Bohrkerne gezogen und das Holz untersuchen lassen, erklärt Pfarrer Braun dazu: „Dabei wurde das Jahr 1092 als das Fälldatum einer bei uns verbauten Eiche festgestellt.“ Höchst unwahrscheinlich, wie Reck zunächst befand, zumal keine schriftlichen Gutachten die Behauptung zu untermauern vermochten. Aber die Neugierde war geweckt, zumal ihm die Konstruktion der in Kreuzform die Dachsparren tragenden Balken unbekannt war.
Der älteste Balken wurde im Winter 1087/1088 gefällt
Reck zog selbst einige Proben, und als diese die Ergebnisse bestätigten, wanderten weitere Bohrkerne ins Labor. „Zehn Proben stammen aus dem 11. Jahrhundert, und damit ist es ganz klar“, sagt der Bauhistoriker. Die Eiche, aus der der älteste Balken gezimmert wurde, ist im Winter 1087/1088 gefällt worden. „Die Stämme sind vor Ort behauen und frisch verbaut worden“, erklärt er. Mithin ist der Dachstuhl der Dautpher Martinskirche tatsächlich nachweislich 926 Jahre alt. Dass die Balken über einen so langen Zeitraum ihre Aufgabe erfüllt und das Dach über dem großen Kirchenschiff getragen haben, findet Reck zusätzlich äußerst bemerkenswert.
„Bausünden" verwischen die historischen Spuren
Wahrscheinlich, so vermutet er, hätte man sogar noch ältere Balken finden können. Denn ursprünglich zog sich die heute nur noch über der Empore vorhandene Konstruktion der unter den Dachsparren gekreuzten Stützbalken über die ganze Länge des Kirchenschiffs. Doch als 1959/60 die heutige Tonnendecke eingezogen wurde, verschwanden weit über die Hälfte der Querstreben und der einander kreuzenden Balken. Gut möglich, dass sie irgendwo im Ort noch für eine Scheune oder einen Schuppen verwendet wurden. Dass man schon damals den Teil der ursprünglichen Konstruktion über der Empore erhielt, spricht dafür, dass man die historische Bedeutung seinerzeit zumindest geahnt habe, meint Reck. Die zweite „Bausünde“ geschah dann im Zuge der Dachsanierung 2006: Die nach dem Einbau der Tonnendecke erhaltenen „Köpfe“ der früheren Querbalken, auf denen die Sparren ruhten, waren in einem schlechten Zustand, so dass sie ausgetauscht wurden.
Dautphe im Zentrum der Forschung
Ärgerlich, aber nicht mehr zu ändern. Die Aufmerksamkeit der Fachwelt wird sich trotzdem nach der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse in den einschlägigen Publikationen auf Dautphe richten. Einen Ansturm von Wissenschaftlern aus aller Welt erwartet Reck aber trotzdem nicht: „Denen reicht das Wissen aus dem Aufsatz“, sagt er. Und den meisten Besuchern, die ohnehin schon zahlreich in die tagsüber zwischen 9 und 19 Uhr geöffnete Martinskirche kommen, dürfte es aber auf ein paar Jahre mehr oder weniger nicht ankommen, wenn sie das älteste Kirchendachgestühl Deutschlands in Augenschein nehmen.
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