Dekanat Vorderer Odenwald

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    Theaterstück in Reinheim

    „An Judas wollte man etwas festmachen“

    Chawwerusch-TheaterIn der Chawwerusch-Produktion begegnet Judas (Ben Hergl) leibhaftig dem Publikum und kann endlich für sich selbst sprechen.

    Judas ist einer der zwölf Jünger Jesu. Einer, dem eine bedeutende Rolle zukommt. Um ihn geht es in der Chawwerusch-Produktion „Judas“ am Freitag, 15. März, in der Reinheimer Kirche. Anlass für ein Gespräch mit Pfarrer Dr. Felipe Blanco Wißmann über Judas, jüdische Klischees, Judentum und den aktuellen Nahost-Konflikt. ++Das Stück ist wegen Erkrankung abgesagt.++

    sru/DekanatDer Reinheimer Pfarrer Dr. Felipe Blanco Wißmann

    Wie kam es dazu, das Stück „Judas“ hier in Reinheim aufzuführen?
    Es war eine Idee des Kulturamts der Stadt Reinheim. Sie sind dann vor etwa zwei Jahren auf uns zugekommen. Wir kooperieren öfters. Gerade beim Thema Judas gehört die Kirche auch mit dazu. Das Stück ist im Rahmen von „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ entstanden. Premiere war 2021.

    Worum geht’s?
    Was ich bisher weiß: Es ist ein Monolog von Judas, der sich gar nicht groß darum schert, warum er jetzt 2024 vor den Leuten redet – er ist einfach da. Er macht sich Gedanken, er grübelt, er versucht, diese Tat aus seiner Sicht darzustellen, dabei nicht zu Kreuze zu kriechen vor dem Publikum, sondern offen zu reden und seine Gedanken und Grübeleien zu vermitteln.

    Seine Tat: der Verrat an Jesus.

    Wenn man es so nennt. Wie man es nennt, sagt ja immer auch schon viel aus, wie man die Sache sieht. Über den eigentlichen Inhalt weiß ich jetzt auch noch nichts, also eben auch nicht, wie es in dem Stück gedeutet wird.

    Was hat das Stück mit dem jüdischen Leben zu tun?
    Judas ist eine Symbolfigur. Er ist nicht nur einfach einer der Jünger Jesus, der ihn, wie wir immer sagen, verraten hat, sondern an ihm hat sich schon immer viel gezeigt und festgemacht. Die Figur wird in den Evangelien unterschiedlich gedeutet – vom Verräter im Markus-Evangelium, bei Matthäus bittet er um Geld für den Verrat und wird also als habgierig dargestellt, im Lukas-Evangelium ist er schon mit dem Teufel im Bunde. Und das geht ja weiter. Schon in der alten Kirche, also schon in der Antike, wurde aus Judas eine Symbolfigur für das ganze Judentum, was sprachlich naheliegt. Judas – Juda: die alttestamentliche Figur des Juda, aber auch der Staat Juda, das Königreich. Da gibt es viele Anknüpfungspunkte. Ganz früh wurde diese Übertragung vom Einzelnen zum Kollektiv unternommen, auch gestützt durch Bibelstellen. Im Mittelalter wird das immer stärker und bis in die Neuzeit weitergeführt, dass eben mit und in der Figur des Judas das ganze Judentum abgewertet wird. Bei einzelnen Autoren wird aber auch wieder etwas anderes versucht: Juda zeigt ja im Neuen Testament Reue. Es reut ihn, Jesus verraten zu haben, ist in den Evangelien zu lesen. Er begeht aus dem Gefühl der Reue heraus nach dem Matthäus-Evangelium Selbstmord. Dieser Zug von Judas wird ganz vereinzelt auch in der mittelalterlichen späteren Literatur aufgegriffen und positiv gedeutet: Er hat wenigstens Reue gezeigt, viele andere zeigen keine Reue, mitunter wird der Umgang der Kirche kritisiert, die eben wenig Mitgefühl zeigt mit den Menschen.

    Was fasziniert Dich an der Figur?
    Bei Judas finde ich interessant, dass er deutungsbedürftig bleibt. Also: Was hat ihn wirklich umgetrieben? So richtig wissen wir es nicht. Wir haben die Deutung in der Bibel, wir haben spätere Deutungen, wir haben sogar ein Evangelium des Judas, das erst vor einigen Jahren veröffentlicht wurde. Da war zuerst die Idee: Muss vielleicht die Kirchengeschichte umgeschrieben werden? Wird plötzlich die Tat ganz positiv gesehen? Klar: Wenn er Jesus nicht verraten hätte, wäre das alles – die Kreuzigung an Karfreitag, die Auferstehung an Ostersonntag – nie geschehen.

    Dann wäre die Geschichte eine ganz andere gewesen.
    Ja, genau. Das Problem an dem Judas-Evangelium, das auch als verbotenes oder verheimlichtes Evangelium gesehen wird, ist: Der Text ist sehr lückenhaft an entscheidenden Stellen, man kann alles hineininterpretieren und tatsächlich ist es wohl nicht einfach so, dass Judas rehabilitiert würde. Aber dieser Text zeigt auch, dass dieser Judas von Anfang an deutungsbedürftig ist, dass man diese Figur aufgreifen und an ihr etwas festmachen wollte. Deswegen finde ich es so großartig, dass das Chawwerusch-Stück das thematisiert und dass da mal einer auf die Bühne kommt und den grüblerischen und nachdenklichen Judas gibt.

    Am 7. Oktober hat die palästinensische Terrororganisation Hamas Israel angegriffen. Aktuell bombardiert Israel den Gaza-Streifen. Welche Bedeutung hat das Stück für Dich in der aktuellen  Situation?
    Darüber zu sprechen fällt mir wirklich schwer. Ich bin Vorstandsmitglied bei „ImDialog“, dem evangelischen Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau. Wir kennen Menschen, die zwar nicht persönlich zu Schaden gekommen sind in Israel, aber die Verwandte und Freunde haben, denen etwas geschehen ist. Was da am 7. Oktober passiert ist, ist einfach grauenhaft. Und genauso grauenhaft ist, was danach passiert ist und dass die Zivilbevölkerung im Gaza furchtbar leiden muss. Aber ich habe schon das Gefühl, dass es auch bei uns Menschen gibt, die verharmlosen, was am 7. Oktober geschehen ist und die Hamas zu einer Befreiungsorganisation verklären, zu Kämpfern für Underdogs oder so. Aber für was für eine Freiheit kämpfen sie? Doch eigentlich nur für die Freiheit, ihre eigenes Volk zu unterdrücken und die Juden zu hassen. Was da oft genug geschieht, ist Relativierung und das Hervorkramen von antijüdischen Vorurteilen, die sich früher gerne an einer Figur wie Judas festgemacht haben und sich heute zum Beispiel auch am Staat Israel festmachen können, wobei natürlich nicht jede Kritik am Staat Israel antisemitisch ist, aber sie kann es eben auch sein. Von daher ist dieses Aufgreifen der Figur Judas gerade in dieser Zeit ganz wichtig, auch wenn das Stück in einem anderen Kontext entstanden ist. Es ist ja nicht tagesaktuell. Es greift Prozesse auf, es greift Deutungen auf, die immer wieder geschehen sind, jahrhundert- und jahrtausendlang.

    Menschliches Verhalten, das es immer wieder gab und gibt.
    Eben. Das Stück greift etwas auf, das ganz alt ist im Verhältnis von Christen- und Judentum ist – dass an dieser Judasfigur eigentlich von Anfang an die Judenfeindlichkeit festgemacht wurde und er zum Beispiel für alle wurde.

    Aber es ist ja nicht nur aktuell bezüglich des Gaza-Konflikts, sondern auch in Deutschland, wo wir antisemitische Tendenzen haben und eine Partei, die zumindest in Teilen rechtsextrem und verfassungswidrig ist. Menschen gehen auf die Straße und demonstrieren für Menschenwürde, Demokratie und Vielfalt.
    Ja, wir sind in einer Situation, in der über Abschiebung, Remigration, letztlich Deportation, diskutiert wird in einer Villa in Potsdam. Da kommen einem natürlich die schrecklichsten Bilder in den Kopf und die Erinnerung an eine frühere Konferenz. Es ist, glaube ich, auch da das rechte Stück zur rechten Zeit, auch wenn ich dem Schauspieler und dem Chawwerusch-Theater nicht zu viel aufbürden möchte. Aber ich denke, es ist gerade in dieser Zeit interessant, sich mit den eigenen Vorurteilen nochmal auseinander zu setzen, sich zu überlegen, wie kommt es eigentlich dazu, was ist dran, was ist wirklich in der Geschichte passiert und was reden wir uns immer nur so ein, weil es uns gut in den Kram passt. Welche Bilder von anderen machen wir uns eigentlich, die letztlich mehr über uns aussagen als über den anderen?

    „Judas“ in Reinheim
    Das Theaterstück sollte am Freitag, 15. März, in der Evangelischen Dreifaltigkeitskirche gegenüber dem Kulturzentrum Hofgut (Kirchstraße) aufgeführt werden. Wegen Erkrankung musste es nun abgesagt werden. Es soll nächstes Jahr gezeigt werden. Als Alternative zeigt Chawwerusch an diesem Abend nun das Stück „Alte Sorten” im Heinrich-Klein-Saal im Hofgut. Bereits gekaufte Karten behalten ihre Gültigkeit, können aber auch zurückgegeben werden. Karten kosten 19 Euro, ermäßigt 15,20 Euro. Beginn: 20 Uhr, Einlass: 19.30 Uhr.
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