Dekanat Vorderer Odenwald

Angebote und Themen

Herzlich Willkommen! Entdecken Sie, welche Angebote des Dekanates Vorderer Odenwald zu Ihnen passen. Über das Kontaktformular sind wir offen für Ihre Anregungen.

    AngeboteÜbersicht
    Menümobile menu

    Agrar-Atlas 2019

    Agrarpolitik der EU bedarf einer Sanierung

    pixabay.co/BroinGrüner WeizenSchöpfungsverantwortung: Auch Kirchenland soll unter ökologischen Aspekten bewirtschaftet werden.

    Die „Gemeinsame Agrarpolitik“ der EU sorgt für eine gesicherte Ernährung in Europa. Dabei werden in den Augen vieler Umweltschutz, Tierschutz und die Beeinflussung des Klimas nicht ernst genug genommen – auch in den Augen der Expertin der EKHN, Dr. Maren Heincke. Der neue Agrar-Atlas 2019 der Böll Stiftung gibt dem Leser einen Überblick über die aktuellen Missstände in der Agrarpolitik.

    Nach dem 2. Weltkrieg war es eine der größten Aufgaben, Europa ausreichend zu ernähren. Um die Ernährung aller EU-Bürger langfristig sicher zu stellen, beschlossen 1957 die Mitgliedstaaten der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zusammen mit den Römischen Verträgen die „Gemeinsame Agrarpolitik“ (GAP). 1962 trat sie in Kraft und ist bis heute eines der bedeutendsten Politikfelder der Europäischen Union.

    Jährlich 60 Milliarden Euro Steuergeld für die Landwirtschaft

    Aufgabe der GAP ist es die Landwirtschaft so zu subventionieren, dass die Ernährung Europas gesichert ist und die Landwirtschaft verantwortungsvoll produziert. Ohne Subventionen wäre eine rentable Landwirtschaft in vielen Ländern Europas kaum mehr möglich. Die Arbeitskraft ist dafür zu teuer geworden. Dazu gibt es das „Zwei-Säulen-System“. Aus der ersten, bedeutend besser finanzierten Säule werden den Landwirten Flächenprämien gezahlt – bis zu 300 Euro pro Hektar Land im Jahr. Der größte Teil dieser 300 Euro ist an keine Bedingungen geknüpft – um an die vollen 300 Euro zu kommen, müssen allerdings einige Umweltauflagen erfüllt werden. Aus der zweiten Säule werden zum Beispiel besonders artgerechte Ställe oder Bio-Landwirtschaft gefördert. Insgesamt hat die EU für die GAP einen Etat von 60 Milliarden Euro jährlich festgelegt. Das entspricht 40% des gesamten Etats der EU oder 114 Euro jährlich pro EU-Bürger.

    Ernährungsluxus in der EU

    Die Aufgabe Ernährungssicherung hat die GAP mittlerweile mehr als erledigt. In den 70er Jahren sprach man auch von „Butterbergen“ und „Milchseen“ angesichts der Überproduktion von landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Agraringenieurin und Referentin für den ländlichen Raum im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung (ZGV) Maren Heincke betont aber: „Man darf nicht unterschätzen, was es bedeutet, dass sich die EU in diesen klimatisch und politisch unruhigen Zeiten quasi komplett selbst ernähren kann.“ Auch die Hygiene und Verarbeitungsqualität der europäischen Lebensmittel sei besonders gut. Dieses hohe Niveau werde einem oft erst bewusst, wenn man in Entwicklungs- oder Schwellenländern Lebensmittel einkaufe gehe.

    Es gibt Probleme

    Dr. Maren Heincke gibt zu bedenken: „Bei einem milliardenschweren, steuerfinanziertem Topf kann man auch erwarten, dass er im Sinne der gesamten Gesellschaft eingesetzt wird.“ Dabei solle man auch an die anderen großen Baustellen der EU denken, die lange nicht so gut finanziert werden wie die Landwirtschaft – zum Beispiel der Breitbandausbau oder die besorgniserregend hohe Jugendarbeitslosigkeit in vielen EU Ländern. Leider wird der Etat der GAP in den Augen vieler Landwirte, den Autoren des Agraratlas und Dr. Maren Heincke momentan nicht sinnvoll eingesetzt. Sie sind sich einig, dass sich mit der neuen GAP-Förderperiode 2021-2027 vieles ändern muss. Bei den Diskussionen, die jetzt schon für die neue GAP-Förderperiode geführt werden, treffen verschiedene Interessengruppen aufeinander.

    Der Agrar-Atlas 2019

    Die Heinrich Böll Stiftung beteiligt sich an dieser Diskussion mit dem „Agrar-Atlas 2019“. Er schaut sich die EU-Agrarpolitik und deren Ziele und Auswirkungen kritisch an. Besonders negativ wird die 1. Säule beurteilt. Durch die vergleichsweise hohen und nahezu bedingungslosen Flächenprämien werde viel Geld verschwendet, was in der zweiten Säule zweckgebunden sinnvolle Projekte unterstützen könnte. Mit der Verlagerung des Etats in die zweite Säule würden besonders tiergerechte Ställe, Umweltmaßnahmen oder Biobetriebe gefördert werden. Die momentan zu kleinen Anreize, Tiere besser zu halten oder umweltfreundlicher anzubauen, könnten dadurch drastisch verbessert werden. Momentan sieht es aber eher nach dem Gegenteil aus: Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU wird der Topf etwas kleiner, was auch Etatkürzungen für die GAP mit sich zieht. Bei der ersten, der Säule für Direktzahlungen, sollen nur 5% gekürzt werden, während die zweite Säule um ganze 15% gekürzt werden soll.

    Ungerechte Subventionspolitik

    Der Atlas kritisiert außerdem, dass durch die hohen Direktzahlungen kleine Bauern benachteiligt werden. Beispielsweise bekommt ein Betrieb mit 50 Hektar Land etwa 15.000 Euro Flächenprämie, während ein Betrieb mit 500 Hektar 136.000 Euro von der GAP bekommt. Damit kann der große Betrieb schneller expandieren als der kleine und ihn letztendlich schlucken. Bemängelt werden außerdem die Auswirkungen der heutigen Form der Landwirtschaft auf die Umwelt, wie zum Beispiel das Artensterben, und Gesundheit.

    Was bedeutet bessere Landwirtschaft für den Einzelnen?

    Insgesamt ist der Atlas auf die gesamtgesellschaftlichen Probleme fokussiert. Dabei wird wenig auf die Bedürfnisse des einzelnen Bauern geschaut, der finanziell sowie fachlich Probleme mit einer radikalen Betriebsumstellung bekommen könnte. Deshalb fordert Dr. Maren Heincke keine radikale Umstellung des Systems, sondern eine fortschreitende Veränderung des Systems, sodass alle Bauern mitziehen können. Auch für den Verbraucher würde es Auswirkungen haben, die Standards an Nachhaltigkeit und Tierwohl zu erhöhen. Fleisch würde zum Beispiel etwa 10% teurer werden. Heincke beruhigt aber: „Jeder Haushalt wirft durchschnittlich 250 Euro jährlich in Form von Lebensmitteln in den Müll. Wenn man etwas mehr darauf achtet, nicht zu viel einzukaufen, sollte das finanzierbar sein.“

    Was wollen die Landwirte?

    Landwirte sollen immer mehr Umweltauflagen erfüllen, Tiere immer besser und damit teurer halten, die Preise niedrig halten und letztendlich auch noch davon leben können. Das stellt laut Maren Heincke gerade für die älteren Landwirte, die nur die konventionellen Methoden gelernt haben und beherrschen vor große Herausforderungen, die auch zu groß werden können. Deswegen stehe der Deutsche Bauern Verband (DBV) auch eher auf der Seite, die das aktuelle Subventionssystem unterstützt oder sogar Vorschriften lockern will. „Natürlich gibt es auch Hardliner unter den Landwirten, die entweder nur noch Förderung für Ökobetriebe oder gar die komplette Förderung abschaffen wollen“, erklärt Heincke. Die Bauern seien keine homogene Masse. Jeder Betrieb habe seine eigenen Bedürfnisse, abhängig von Größe und Produktionsart und damit auch seine eigenen Ansichten.

    Ethische Fragen dürfen nicht vergessen werden

    Dr. Maren Heincke persönlich sind die ethischen Fragen in der Landwirtschaft besonders wichtig. Bei Erntehelfern aus dem Osteuropäischen Raum habe sich in den letzten Jahren viel getan. Zum Beispiel hat sich die Unterbringung bezüglich Kochgelegenheiten, Sanitäranlagen und Privatsphäre deutlich verbessert. Noch vor wenigen Jahren waren die Helfer teilweise in Zehnbettzimmern untergebracht. Bedauerlicherweise habe sich aber im Hinblick auf Tierwohl zu wenig getan. Die offizielle Fehlschlachtquote in Deutschland liegt bei fast 10%. Fehlschlachtung bedeutet, dass die Tiere bei vollem Bewusstsein geschlachtet werden, weil ein Schritt in der Vorbereitung zur Schlachtung falsch gelaufen ist. Die Dunkelziffer liege wahrscheinlich deutlich darüber. Außerdem werden viele Tiere aus der EU exportiert. Die oft tagelangen LKW-Fahrten seien für die Tiere unglaubliche Quälerei. „Die Tiere müssen tagelang auf engstem Raum ohne genügend Wasser und Futter verbringen. Im Sommer können in den Anhängern schnell über 40°C werden“, kritisiert Heincke scharf, „Dabei sterben regelmäßig Tiere schon bevor sie im Schlachthof angekommen sind. Das kann und will ich nicht länger ertragen.“ Deshalb fordert sie ein absolutes Ausfuhrverbot von lebenden Tieren aus der EU und deutlich strengere Regeln zur Verbesserung des Tierwohls. Auch die Beschäftigten im Schlachthof sollen besser geschult werden, damit die Fehlschlachtungen reduziert werden können. Momentan seien in der Schlachtbranche Dumping-Löhne weit unter Mindestlohn und schlecht geschultes Personal üblich. Die artgerechte Haltung der Tiere könne, wie viele andere Probleme, durch eine bessere Förderung von besonders tiergerechten Ställen durch die zweite Säule erfolgen.

    Politik aneinander vorbei

    Neben zahlreichen Forderungen und Vorschlägen setzt sich Dr. Maren Heincke auch für die bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Politikfelder der EU ein. Ziele im Bereich Umweltschutz könnten zum Beispiel durch enge Zusammenarbeit von GAP und Generaldirektion Umwelt besser oder überhaupt erreicht werden. Teilweise arbeiten die Bereiche sogar gegeneinander. Die Entwicklungshilfe für Afrika versucht die Landwirtschaft in Afrika anzukurbeln. Der Markt wird aber überschwemmt von Lebensmitteln aus der EU und Amerika, sodass der Anbau in Afrika größtenteils nicht rentabel ist. Der EU-Lebensmittel sind so stark subventioniert, dass sie trotz hoher Arbeitskosten günstiger als afrikanische Waren sind.

    Es muss sich etwas ändern!

    Die Agrarpolitik weist Mängel in den meisten Bereichen auf: Die finanziellen Anreize, die Natur z. B. durch weniger Dünger zu schützen, sind zu klein. Kleine Betriebe werden durch die Gefahr der Übernahme von Größeren unter Druck gesetzt und das Tierwohl wird gerade bei Transporten konsequent vernachlässigt, weil es kaum Kontrollen gibt. „Die Landwirtschaft kann nicht von einem auf den anderen Tag umgestellt werden“, so Maren Heincke, „eine Weiterentwicklung der Landwirtschaft in den nächsten Jahren ist aber mehr als überfällig.“

    Mehr Informationen zum Thema GAP

    Das Thema GAP und EU-Landwirtschaft ist hoch komplex. Deshalb kann es hier nur mit einem kleinen Teil  seiner Struktur und Problemen angeschnitten werden. Klar ist, dass sich viel bewegen muss, damit die Landwirtschaft die heutigen Umwelt- und Ethikstandards erfüllt. Um sich einen größeren Überblick über die EU-Agrarpolitik zu verschaffen, ist der kostenlose Agrar-Atlas 2019 zu empfehlen. Die Facetten der GAP werden beschrieben und kritisch hinterfragt. Ansprechend gestaltende und aussagekräftige Grafiken unterstützen dabei das Verständnis.

    Kostenloser Download des Agrar-Atlas 2019: https://www.boell.de/de/agraratlas

    Konrad Waßmann

    Diese Seite:Download PDFDrucken

    to top