Neunkircher Kirche wegen Schadstoffbelastung gesperrt

veröffentlicht 03.12.2025 von Silke Rummel, Dekanat Vorderer Odenwald

Sie ist die höchste Kirche im Evangelischen Dekanat Vorderer Odenwald und von weithin sichtbar: die Cosmas und Damian-Kirche in Neunkirchen. Seit März ist das historische Kleinod, das auch ein beliebtes Ausflugsziel ist, wegen erhöhter Schadstoffwerte gesperrt. Der Krippenspiel-Gottesdienst an Weihnachten wird im Bürgerhaus Brandau sein. Die Sanierung wird 2026 erfolgen. Es wird teuer.

Ein Teil der Wiese unterm Kirchturm ist mit einem Bauzaun abgesperrt. Putzbrocken hatten sich gelöst. Die Kirchengemeinde Neunkirchen machte daraufhin einen Termin mit der Bau- und Liegenschaftsverwaltung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) aus, um die Sanierung der Fassade zu besprechen. Dabei wurde die Kirche erst einmal von oben nach unten geprüft – und es offenbarte sich ein noch viel größeres Problem: Der Dachstuhl über dem Kirchenschiff ist massiv mit Blei und Lindan belastet; letzteres ist ein Biozid, das unter anderem als Holzschutzmittel eingesetzt wurde und seit 2008 in Europa verboten ist. In den 1950er, 1960er und 1970er Jahren wurden Holzschutzmittel mit Lindan in Gebäuden großflächig eingesetzt, um Holzkonstruktionen und Balken vor Schädlingsbefall und Fäulnis zu schützen. Erst später stellte sich heraus, dass diese Mittel unter anderem krebserregend sind. Der Kircheninnenraum ist ebenfalls belastet. Die Bau- und Liegenschaftsverwaltung empfahl der Gemeinde, die Kirche zu sperren.

„Das war ein Schock“, sagt Pfarrer Yannik Schnitzspahn. Kirchenvorstand und Bauverwaltung waren zunächst bemüht, eine Lösung zu finden, um die Kirche weiter offen zu halten. „Aber da man um die hohen Werte weiß, wäre das unverantwortlich gewesen“, sagt die Kirchenvorstandsvorsitzende Dorothea Hartmann. Der Einschnitt war gravierend. Die Cosmas und Damian-Kirche ist eine offene Kirche und kann normalerweise zwischen 9 und 18 Uhr besucht werden. Sie ist eine beliebte Tauf- und Hochzeitskirche, ein Ausflugsziel für Touristen, Einheimische kommen zum Meditieren hierher und sie ist Station auf dem Camino Incluso, dem barrierefreien Pilgerweg zwischen Odenwald und Bergstraße.

Umfangreiche Voruntersuchungen
Für Kirchenarchitektin Nicole Braunwarth von der Bauabteilung der Landeskirche ist die Neunkircher Kirche „ein Sorgenkind“. Verschiedene Gutachten ergaben neben der hohen Werte, dass das Holz des Dachstuhls auch noch massive Holzwurmschäden hat. Da die Raumluftbelastung so hoch ist, werden Baumaßnahmen erforderlich, um überhaupt weitere Voruntersuchungen machen zu können. In der Kirche wird demnächst ein Gerüst gestellt, die Orgel muss ausgebaut und gesichert und eine trittsichere, staubdichte Zwischendecke eingezogen werden. Im Dachstuhl werden Gauben eingebaut, um eine Querlüftung herzustellen. Eine teure Angelegenheit, allein diese Kosten beziffern sich auf etwa 180.000 Euro.

Sobald die Ergebnisse der Voruntersuchung vorliegen, geht es daran, den genauen Umfang der erforderlichen Instandsetzungsmaßnahmen zu definieren, den Zeitplan abzustimmen, die Leistungsverzeichnisse zu erstellen und schließlich die Handwerker zu beauftragen. Kirchenarchitektin Braunwarth rechnet mit Sanierungskosten im hohen sechsstelligen Bereich, von denen die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) 80 Prozent übernimmt. Die Kirchengemeinde trägt die restlichen 20 Prozent. Das wird dann nicht mehr Neunkirchen sein, sondern die neue „Evangelische Kirchengemeinde Lichtenberger Land“, die zum 1. Januar 2026 aus dem Zusammenschluss von Neunkirchen, Niedernhausen, Groß-Bieberau, Ueberau, Spachbrücken, Reinheim und Georgenhausen-Zeilhard entsteht. Um die finanzielle Last abzufedern, soll ein Förderverein gegründet werden.

Dass der Gottesdienstbesuch in der Vergangenheit gesundheitsgefährdend hätte sein können, hält Kirchenarchitektin Braunwarth für unwahrscheinlich: „Wir gehen davon aus, dass das Risiko, dass jemand während des Kirchenbesuchs einen Schaden davon getragen hat, sehr gering ist“, sagt sie. Zwar seien die Grenzwerte erhöht, doch bezögen sich die Gesundheitsrisiken auf einen dauerhaften Aufenthalt in sogenannten „Aufenthaltsräumen“, also Wohnräumen, „das ist bei einem Gottesdienstbesuch nicht der Fall“.

An andere Orte ausgewichen
Aus energetischen Gründen feiert die Kirchengemeinde Neunkirchen seit Jahren im Winter Gottesdienst im Gemeindehaus in Brandau. „Winterkirche“ nennt sich das. Nach Bekanntwerden der Schadstoffbelastung blieb die Kirche ab März 2025 zu und die Gottesdienste fanden weiter im Gemeindehaus statt. Die Konfirmation wurde gemeinsam mit Niedernhausen in der dortigen Kirche gefeiert, in den warmen Monaten gab es Gottesdienste im Kirchgarten. Die Andacht zum beliebten Weihnachtsmarkt auf der Neunkircher Höhe am zweiten Advent wird am Samstag um 18.30 Uhr unter freiem Himmel gefeiert, ebenso das Adventsliedersingen mit dem MichelsChor am Sonntag um 16 Uhr. Und der große Krippenspiel-Gottesdienst an Heiligabend wurde ins Bürgerhaus Brandau verlegt.


Historie
Die Cosmas und Damian-Kirche in Neunkirchen ist von großer historischer Bedeutung. Ihren Namen hat sie von den syrischen Zwillingsbrüdern Cosmas und Damian, die im 3. Jahrhundert der Legende nach Kranke unentgeltlich behandelt haben. Auf einer Pilgerreise sollen sie nach Neunkirchen gekommen sein. Hier hatte der Legende nach eine Einsiedlerin eine heilende Quelle entdeckt und die Brüder sollen sie bei der Heilung Kranker unterstützt haben. Neunkirchen soll daraufhin zum Wallfahrtsort geworden sein. 1222 wurde zum ersten Mal eine „neue Kirche“ urkundlich erwähnt und gab dem Dorf seinen Namen. Ab 1480 wurde diese Kapelle durch einen Neubau ersetzt. Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Kirche weitgehend zerstört und 1742/43 neu aufgebaut. Die Kirche birgt etliche Schätze: ein Glockengeläut aus drei Jahrhunderten, eine Altarbibel von 1620 und ein großformatiges Gesangbuch von 1664.