Dekanat Vorderer Odenwald

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    „Stärken, nicht helfen“

    M. Thierolf

    Pfarrer Heiko Ruff-Kapraun, der langjährige Leiter der Notfallseelsorge Darmstadt und Umgebung, geht in den Ruhestand. Er hat diese Einrichtung maßgeblich geprägt und viele ehrenamtliche Mitarbeitende geworben, ausgebildet und begleitet. Der Seelsorger wird am 12. November um 17 Uhr in der Pauluskirche in Darmstadt von Propst Stephan Arras von seinem Dienst entpflichtet.

    Darmstadt. Was passiert, wenn der Steuermann nach über 20 Jahren geht? Wie entwickelt sich die Notfallseelsorge in Darmstadt und der Region? Heiko Ruff-Kapraun ist da zuversichtlich. „Die Taue loszulassen birgt Chancen. Es gibt zwar keine direkte Nachfolgerin, keinen Nachfolger, aber es entsteht eine neue Struktur der Notfallseelsorge in Südhessen“, betont der Freizeit-Segler und evangelische Pfarrer. Die Konzeption dieser neuen Struktur hat der 65-Jährige gemeinsam mit den Verantwortlichen im Zentrum Seelsorge und Beratung ausgearbeitet. Es sei ihm wichtig gewesen, den Notfallseelsorge-Teams in der Region eine gute Perspektive zu geben. Denn überwiegend ehrenamtliche Mitarbeitende leisten in akuten Notfällen und Krisen „erste Hilfe für die Seele“. Diese hoch engagierten Frauen und Männer zu werben, auszubilden und zu begleiten, soll auch weiterhin gewährleistet sein. Pfarrerin Annette Herrmann-Winter wird als neue Leiterin der Notfallseesorge Südhessen daran weiterarbeiten, unterstützt durch Kooperationspartner wie dem Bistum Mainz und dem Deutschen Roten Kreuz. 

    Heiko Ruff-Kapraun schaut auf ein erfülltes Berufsleben zurück. Seit Pfingsten 2001 ist er Leiter der Notfallseelsorge Darmstadt und Umgebung, das die nun fusionierten Evangelischen Dekanate Darmstadt-Stadt und Darmstadt-Land umfasst, und hat diese Einrichtung maßgeblich geprägt. Im Laufe der Jahre habe sich die Notfallseelsorge (NFS) immer stärker professionalisiert, auch weil die Zusammenarbeit zwischen Notfallseelsorge und Katastrophenschutz in Deutschland verstärkt wurde. „Seit 2007 gibt es bundesweit Standards für die psychosoziale Notfallversorgung, womit die seelische Notfallversorgung verbindlicher Teil in der Rettungskette wurde und es eine gute Basis für die Ausbildung ehrenamtlicher Mitarbeitender gibt,“ erläutert Ruff-Kapraun. Der Pfarrer hatte ab 2001 zunächst nur eine Teilzeitstelle in der Notfallseelsorge Darmstadt und Umgebung, später auch in Groß-Gerau und hat diese anfangs kombiniert mit einer halben Stelle als Krankenhaus-Seelsorger in der Klinik für Neurologie in Darmstadt-Eberstadt. Nach einer Strukturreform 2010 ist er mit voller Stelle Leiter der verschiedenen Notfallseelsorge-Einrichtungen in der Region, die letzten knapp zwei Jahre war er auch für das NFS-Team im Odenwaldkreis zuständig.

    Was hat ihn getragen? „Welt und Glaube, Himmel und Erde, das Wissen, dass es gut ist, den Menschen von der Gnade zu erzählen und ihnen zuzuhören, ihre Not und Bedrängnis wahrzunehmen“, so der Theologe. Es seien oft zutiefst menschliche Beziehungen, die in solchen Krisenmomenten entstehen, und aus denen auch er gelernt habe. „Stärken, nicht helfen“ ist eine seiner Maximen, denn es gelte Menschen etwas zuzutrauen sowie Schwache zu stärken und zu befähigen, auch Krisen zu meistern. Angesprochen hat ihn auch das Werk des Religionsphilosophen Paul Tillich, der davon spricht, dass die Theologie des Wesentlichen, des Glaubens und Unterstützens hervorkommt, wenn es in Korrelation zur Welt geschieht. Wichtige Impulse bekam er an dem pastoralpsychologischen Institut „Seminar für Seelsorge“ in Frankfurt.  Während des Vikariats in Frankfurt lernte er seine Frau Brigitte kennen und später teilte sich das Ehepaar eine Gemeindepfarrstelle in Taunusstein, drei Kinder komplettierten in den nächsten Jahren die Familie.  Brigitte Kapraun ist heute nach manchem Stellenwechsel als Gehörlosenseelsorgerin in Darmstadt tätig. Das Paar wohnt seit vielen Jahren in Mühltal.

    Heiko Ruff-Kapraun ist in der norddeutschen Kleinstadt Bückeburg aufgewachsen. Wie in vielen Familien während der 1950 bis 1970er Jahre war auch in seinem Elternhaus das Geld knapp. Der Vater war Schneider, die Mutter arbeitete ebenfalls im Betrieb. Sehr gemocht hat er seinen Großvater, der aus Ostpreußen stammte und Polizist war. In der Residenzstadt befand sich ein Standort der Bundeswehr und so ging Heiko Ruff-Kapraun mit vielen Kindern von den Soldatenfamilien und einigen aus dem Fürstenhaus zur Schule. Eine „neue Heimat“ fand er in den Jugendkreisen der Evangelischen Kirche. Wegen seiner langen Haare und der gefransten Jeans, die er als Jugendlicher trug, fiel er auf im konservativen Schaumburg-Lippe.  Obwohl eher naturwissenschaftlich als sprachbegabt, entschied er sich Theologie zu studieren, zunächst in Bethel, später in Marburg.  Statt eines Praktikums in Schaumburg-Lippe nahm er eine Ausbildung in der Telefonseelsorge auf und war drei Jahre dort als ehrenamtlicher Mitarbeiter tätig. „Ich habe erfahren wie wichtig es ist, authentisch und zugewandt Menschen in Not am Telefon zu begegnen. Da ist eher Soziologie und Psychologie, weniger die Theologie gefragt“ so Ruff-Kapraun. Sein Studium hat er sich in den Semesterferien mit Einsätzen als Lkw-Fahrer bei einer Spedition finanziert. Auch heute sitzt er noch ab und zu als ‚Kapitän der Landstraße‘ hinterm Steuer eines Lasters und fährt landwirtschaftliche Produkte für einen befreundeten Spediteur. Das macht ihm Spaß und ist ein Ausgleich zur Schreibtischarbeit, außerdem trifft er hier Menschen, denen kirchliche Inhalte eher fremd sind. Ein wichtiger Aspekt ist für den Pfarrer auch der körperliche Ausgleich zur geistlichen Arbeit: „auf dem Mountain Bike kann ich abschalten, mich wieder neu justieren und es gibt mir einen tieferen Sinn“, so Ruff-Kapraun. 

    Seinen Interessen und Neigungen konnte er auch während seiner dreimonatigen Studienzeit 2020 nachgehen. Er stellte sich die Frage: Gibt es gute und energiereiche Orte? Informationen zu Energiefeldern suchte er beispielsweise am Institut für Geobiologie, über Schwingungen, Licht und deren Wirkungen auf Menschen konnte er Erkenntnisse in der Glasmanufaktur Derix in Taunusstein erfahren, die weltweit Glaskunst-Projekte realisiert. Ruff Kapraun formulierte die abschließende These: diese Orte gibt es, aber erfassbar sind sie nur in Resonanz zwischen dem Ort und den Aufsuchenden. Zehn verschiedene Resonanzen hat Ruff-Kapraun beschrieben, von der Resonanz in Naturlandschaften bis zur Resonanz mit Struktur, beispielsweise in einem Bahai-Tempel im Vordertaunus. Für ihn gibt es auch einen Bezug zu seinem Berufsfeld: „Wenn es gelingt in einer Notfallbegleitung Menschen in Resonanz zu bringen, die durch eine Akutsituation geschockt sind, dann kann eine seelische Bewegung ausgelöst werden“, weiß der Seelsorger.  Es klinge paradox, aber Menschen könnten Traumata nur vergessen und verarbeiten, wenn sie diese erinnern. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst als Pfarrer will er seine seelsorgerische Expertise einbringen und wird gemeinsam mit einer Psychotherapeutin in einer Praxis im Odenwald tätig sein.

    Heiko Ruff-Kapraun schaut mit Dankbarkeit auf ein erfülltes Berufsleben zurück. Besonders hat er von den Menschen gelernt, die sich ihm mit seelsorgerlichen Fragen anvertraut haben,  und den Kollegen und Kolleginnen, die ihn in den Dienstgemeinschaften mitgetragen haben.

    Notfallseelsorge

    Notfallseelsorge ist „erste Hilfe für die Seele“ in akuten Krisensituationen. Sie ist darauf ausgerichtet Betroffene, Angehörige und Hilfskräfte bei Notfällen (zum Beispiel bei Unfall, Großschadenslagen und anderem) seelsorglich zu begleiten und zu stützen. Aber auch Hilfe nach häuslichen traumatischen Ereignissen, wie nach erfolgloser Reanimation, plötzlichem Kindstod und Suizid, sowie Begleitung der Polizei bei der Überbringung von Todesnachrichten gehört zum Einsatzspektrum der Notfallseelsorge. Nach dem S.O.S.-Prinzip - Stabilisieren, Orientieren, Schützen - begleiten Notfallseelsorgerinnen und Notfallseelsorger vor Ort Angehörige, aber auch Einsatzkräfte. Notfallseelsorge ist ein seelsorgliches Angebot an Menschen unabhängig von ihrer Konfession, Religion oder Weltanschauung. 

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