Dekanat Vorderer Odenwald

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    Interview

    „Im Kontakt zu sein, ist Lebensqualität“

    Kreiskliniken Darmstadt-Dieburg

    Silvia Rollmann ist Seelsorgerin in der Kreisklinik Groß-Umstadt, im Ökumenischen Hospizverein Vorderer Odenwald und Gemeindepfarrerin in Wiebelsbach. Im Interview schildert sie ihre Erfahrungen.

    Du bist als Klinikseelsorgerin nah dran am Corona-Geschehen. Wie hast Du die vergangenen Wochen erlebt?
    In der Klinik haben mein katholischer Kollege und ich uns darauf verständigt, dass wir von Routinebesuchen absehen, aber weiter in Notfällen Besuche machen. Gottesdienste gibt es bis auf weiteres keine in der Klinikkapelle. Auf den Stationen haben wir Zettel ausgehängt, dass wir übers Handy für Begleitungen angefragt werden können. Ich selbst wollte nicht zu Corona-Patienten – unsere Tochter ist krank und ich wollte ihr keine zusätzliche Belastung nach Hause bringen. Sie wurde kurz nach den Corona-Beschränkungen operiert und ich habe das Besuchsverbot als Angehörige erfahren: Wir durften sie weder in die Klinik begleiten noch sie besuchen. Mein Kollege war bereit, in Ausnahmefällen Corona-Patienten zu besuchen. Er stand außerdem jeden Mittag zwischen 13 und 15 Uhr in der Kapelle für Mitarbeitende zum Gespräch zur Verfügung. Es war ihm ganz wichtig, auf diese Weise ein Gesprächsangebot für das  Personal zu machen. Ich war ein- bis zweimal pro Woche in der Klinik, weil Personen mich um den Besuch ihrer schwerkranken Angehörigen gebeten hatten oder wenn es um die Begleitung eines Sterbenden ging.

    Welche Erfahrungen hast Du als Seelsorgerin gemacht?
    Ich selbst fand mein Dasein als Seelsorgerin ausgesprochen schwierig, weil es nicht so durchzuführen war, wie ich es normalerweise mache. Ich kann Seelsorge nur mit einer gewissen Nähe betreiben. Und diese Nähe bedeutet für mich auch körperliche Nähe. Zwei Meter Abstand halten, ist für mich ein bisschen kurios. Vor allen Dingen, wenn es um die Begleitung von Sterbenden geht, die zum Teil sehr undeutlich sprechen und denen ich unter normalen Umständen mein Ohr an den Mund gehalten hätte. Eine Covid-Patientin habe ich telefonisch begleitet, da hat mich überrascht, dass das ging. Auch jetzt, sie ist wieder zu Hause, freut sie sich, wenn ich mich bei ihr melde. Trauergespräche haben tatsächlich auch per Telefon funktioniert. Es ist nicht das Gleiche, aber es war zufriedenstellend möglich.

    Das Besuchsverbot ist ein schwieriges Thema.
    Mein Eindruck ist, dass das Kontaktverbot, wenn es ohne Ausnahmen gehandhabt wird, in eine unmenschliche Art und Weise ausartet. Ich hatte eine Beerdigung, der Verstorbene war über 80 Jahre. Die Schwester, die ein sehr inniges Verhältnis zu ihrem Bruder hatte, durfte ihn die letzten sechs Wochen nicht mehr besuchen, weil er im Pflegeheim und in einem Krankenhaus war. Das finde ich sehr unmenschlich. Ich weiß auch von einem Mann, dessen 50-jährige Lebensgefährtin einen schweren Schlaganfall hatte. Er durfte sie neun Wochen lang nicht besuchen. Es tut denjenigen, die keinen Besuch von ihren Liebsten bekommen können, körperlich nicht gut.

    Weil die Seele leidet.

    Das ist nicht zu unterschätzen. Es gibt eine große Sehnsucht nach Kontakt. Es ist ja auch erwiesen, dass die Menschen krank werden, wenn man ihnen den Kontakt entzieht, ja, dass sie bei Kontakt unter Umständen ruhiger werden und weniger Schmerzmittel brauchen.

    Das war ja auch ein großes Thema in den vergangenen Wochen. Menschen sind ein Leben lang zusammen und dürfen sogar, wenn der Partner im Sterben liegt, nicht zu ihm. Wie geht man denn damit um?
    Das ist ganz schwer. Mein Kollege und ich haben einen Flyer herausgegeben, um dabei eine gewisse Hilfe zu leisten. Es ist so wichtig, bewusst Abschied zu nehmen, um selbst den Trauerweg mit dem Gefühl beginnen zu können, alles noch Mögliche getan zu haben. Den Sterbenden bis zum Schluss begleiten zu können, bedeutet in der Regel, selbst erfahren zu dürfen, dass der Tod als Erlösung kommt. Das schafft einen gewissen inneren Frieden. Meistens sehen die Toten entspannt und friedlich aus – entspannter als noch kurz vor ihrem Sterben. Ohne die Möglichkeit eines bewussten Abschieds malt die Fantasie oft grässliche Bilder, wie wohl der Todeskampf ausgesehen haben mag. Und es bleibt das quälende Gefühl, den Sterbenden im Stich gelassen zu haben. Dabei kommt es allerdings durchaus häufig vor, dass Menschen gerade dann sterben, wenn die Angehörigen – vielleicht auch nur für kurze Zeit – das Zimmer verlassen haben. Ich denke, dass es ihnen vielleicht leichter fällt zu gehen, wenn niemand da ist, von dem es schwer ist, Abschied zu nehmen. In dem Flyer, den wir zur Verfügung stellen, sind ein paar ganz praktische Vorschläge, wie man einen Abschied zelebrieren kann, ohne dass ein weiterer Kontakt möglich ist – Gebets- und Segnungstexte. Ein Versuch, die Trauernden in ihrem Abschiedsschmerz nicht ganz alleine zu lassen.

    Welchen Trost hast Du den Menschen, die Du begleitet hast, mit auf den Weg gegeben?
    Ich kann niemanden trösten. Unsere erste Tochter ist gestorben. Da habe ich den Satz erfunden: Die Leute wollen meine Trauer wegtrösten, weil sie es selbst nicht aushalten.

    Da ist was dran.
    Es gab Worte wie „Wer weiß, wozu’s gut war“, „Wer weiß, was Dir erspart geblieben ist“, „Gott meint es nur gut mit dir“ oder „Du kannst doch auch noch andere Kinder bekommen“ – das ist kein Trost, sondern es tut eher noch mehr weh, weil es Deinen Schmerz verharmlost. Du kannst jemanden nicht aktiv trösten, weil derjenige in seiner Traurigkeit überhaupt bereit sein muss, sich trösten zu lassen. Was ich sinnvoll finde, und das tue ich als Seelsorgerin, ist, zuhören. Den Schmerz, die Traurigkeit, den Ärger, die Wut  anhören. An dem Spruch „Geteiltes Leid ist halbes Leid“ ist was dran. Wenn Du jemanden neben Dir hast, der es aushält, dass Du heulst, der es aushält, dass Du traurig bist, ärgerlich und wütend, dass Du Schmerzen hast. Wenn Du jemanden hast, der das alles aushält, das tut gut. Außerdem versuche ich als Seelsorgerin den Gefühlen, die ich wahrnehme, Worte zu geben. Ich habe die wunderbare Möglichkeit all das in Gebeten als Anliegen vor Gott zu bringen – die Frage nach dem Warum, die Wut, den Ärger, den Schmerz, die Verzweiflung, den Zweifel, das Gefühl, von Gott verlassen worden zu sein, die Ohnmacht und vieles mehr. Wenn ich diese Gefühle im Gebet formuliere, fühlen sich die Trauernden verstanden. Ich selbst muss keine Antwort geben auf ihre Fragen, sondern mache mich als Betende zu ihrem Anwalt vor Gott. Damit vertrauen wir uns beide einer höheren Macht an. Ihr können wir uns zumuten und von ihr können wir am ehesten Hilfe erwarten.
    Nachdem ich unser viertes Kind tot entbunden hatte, wollte ich schon meinen Beruf als Pfarrerin an den Nagel hängen, dachte ich doch, einen lieben Gott nicht mehr predigen zu können. Es waren meine damaligen Kollegen im Frankfurter Dekanat Bornheim, die mich ermutigt haben. Sie versicherten mir, dass ich gerade auch als Klagende Pfarrerin sein kann. Das hat sich mir besonders als Seelsorgerin ganz und gar bestätigt.

    Muss man unbedingt etwas sagen?
    Nein, Worte sind oft hinderlich, vor allem dann, wenn sie „trösten wollen“. Du kannst die Gefühle spiegeln: „Sie sind heute besonders traurig“, „Das ist ärgerlich, dass niemand Sie besuchen kommt“. Dadurch fühlt sich der Andere verstanden. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt in der Seelsorge. In der Psychiatrie kommst Du mit Verstehen nicht weit. Aber Gefühle kannst Du spiegeln, ohne dass Du verstehst und ohne Dich auf eine Seite ziehen zu lassen. In Seelsorge-Situationen kommt es in erster Linie darauf an, dass der Andere sich ernst genommen fühlt.

    Hattest Du den Eindruck, dass durch die Corona-Pandemie bestimmte Gefühle im Vordergrund stehen? Hilflosigkeit zum Beispiel?
    Es ist eine ganz komische Stimmung. Eine Angst, aber auch eine Hab-Acht-Stellung, dass jeden Moment die große zweite Welle kommt. Eine Hilflosigkeit erlebe ich nicht. Ich habe vielmehr den Eindruck, dass es den Menschen gut tut, dass es Schutzmaßnahmen gibt. Sie können etwas tun. Mittlerweile sind diese schon gut erprobt, und es gibt fast so etwas wie einen Alltag mit den Schutzmaßnahmen. Die erste Welle war kleiner als befürchtet. Mit allen Vorkehrungen hat alles relativ gut funktioniert. Trotz Hamsterkäufen musste wohl kaum jemand darben. Trotzdem bin ich gespannt, wie sich eventuell existenzielle Nöte noch lange gesellschaftlich auswirken.

    Was ist Deine Hoffnung, wie es weitergeht?
    Ich hoffe, dass sich die Erwartung einer zweiten Welle nicht bestätigt und dass wir wieder mehr Umgang miteinander pflegen können. Mir ist durch diese Zeit noch deutlicher geworden, dass es ganz wesentlich zur Lebensqualität dazu gehört, im Kontakt zu sein. Ich hatte gerade eine Beerdigung – wie schwer ist es mir gefallen, die Leute nicht in den Arm zu nehmen!

    In diesem Moment will man ja auch von der eigenen Wärme abgeben. Da gibt es keinen Ersatz.

    Wir sagen „Fühl Dich umarmt“, aber das ist nicht das Gleiche. Es fehlt was ganz grundsätzlich Menschliches, wenn wir keinen körperlichen Kontakt haben können. Das kannst Du nicht lange aushalten. Du gehst ein, wie eine Pflanze, die man nicht gießt.

    Flyer Abschiedsrituale

    Interview: Silke Rummel

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