Dekanat Vorderer Odenwald

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    25 Jahre Hospizverein

    „Menschen in Not beizustehen, bereichert”

    Michael Merbitz-ZahradnikEine Skulptur auf einem Grab auf dem Friedhof in Neckarelz.

    Der Ökumenische Hospizverein Vorderer Odenwald feiert am 25. April sein 25-jähriges Bestehen. Ein Gespräch über würdevolles Sterben, Sitzwachengruppen, Trauerarbeit und warum Hospizarbeit einem selbst viel geben kann.

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    Die Geschichte des Hospizvereins ist eine Geschichte der beständigen Erweiterung. Das, was man eine Erfolgsgeschichte nennt. 1995 begann es mit dem Beschluss, eine „Sitzwachengruppe“ im Kreispflegeheim in Groß-Umstadt einzurichten – heute ist der Ökumenische Hospizverein Vorderer Odenwald ein großer Verein mit vielen Qualifizierungskursen, Gruppen und Angeboten. Ein Gespräch zwischen der leitenden Koordinatorin Anja Schnellen, Peter Granzow, dem ehrenamtlichen Leiter der Trauergruppe und Mann der ersten Stunde, Hospizhelferin Brigitta Wagner, Elisabeth Fischer, Vorsitzende des Hospizvereins, und Silke Rummel, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Evangelischen Dekanat Vorderer Odenwald.  

    Bei dem Wort „Sitzwachengruppe“ kommt mir ein Bild in den Kopf. Ich habe in jenem Kreispflegeheim 1989 als 19-Jährige meine Großtante begleitet, als sie im gesegneten Alter von 91 Jahren gestorben ist. Da gab es noch keine Hospizgruppe. Peter Granzow, Sie sind Leiter des Trauerteams und Mann der ersten Stunde. Wie war das am Anfang?

    Peter Granzow: Man kann wirklich sagen, wir haben die Menschen damals zu lange begleitet. Wir hatten noch nicht die Kenntnisse von heute und haben Tag und Nacht am Bett gesessen und uns alle drei Stunden abgewechselt. Ich war damals berufstätig, hatte die Ausbildung zum Hospizhelfer hinter mir und wollte auch zum Einsatz kommen. Ich hatte immer die Zeit morgens von 4 bis 7 Uhr und bin anschließend in die Firma gefahren. Wir hatten damals aus Datenschutzgründen keine Biografien, wussten nichts über die Sterbenden, ob sie Geschwister oder Kinder hatten. Wir sind erst gerufen worden, wenn die Menschen fast nicht mehr sprechen konnten. Diesen nonverbalen Kontakt herzustellen, war nicht immer einfach. Man musste sich wirklich auf den Menschen einlassen. Es war eine ganz bestimmte Zeit – umso mehr freue ich mich, dass heute eine ganz andere Entwicklung zustande gekommen ist.

    Was sind Sie von Beruf und wie sind Sie dazu gekommen, Hospizhelfer zu werden?

    Peter Granzow: Ich bin gelernter Industriekaufmann und war als kaufmännischer Leiter tätig. Auf das Thema Hospiz bin ich gekommen, weil ich als Kind sehr viele Alpträume hatte und sehr große Angst vorm Sterben. Ich habe mich mit dem Tod über Religion und Philosophie beschäftigt. Als die Vortragsreihe kam mit dem Vortrag „Tod und Sterben – (k)ein Thema für mich“ nahm die Hospizgruppe 1996 ihre Arbeit auf, sagte ich mir, dass ich mich dem stellen muss. Am Ende der Vortragsreihe wurde gefragt, wer sich für die Ausbildung meldet. Auf 24 Plätze gab es 48 Bewerbungen. Da war man schon stolz, dass man ausgewählt wurde. Es war alles am Anfang, nicht vergleichbar mit heute, aber wir haben trotzdem eine tolle Ausbildung genossen. Es war ein verschworener Kreis, zwei Zwölfer-Gruppen, wir wollten gar nicht auseinander gehen. Ich selbst war noch nie in einem Verein, bin überhaupt kein Mensch für Vereine. Dass ich im Hospizverein einmal 25 Jahre sein würde, habe ich mir damals nicht denken können.

    Ich stelle mir die Situation sehr schwierig vor – Sie kommen in einen Raum, kennen den Menschen, der da im Bett liegt nicht, wissen nichts über denjenigen, zu einer Uhrzeit, in der der Großteil der Menschen noch schläft. Sie sagen, Sie haben „die Menschen zu Tode begleitet“. Da klingt ja einiges durch – auch an Unkenntnis. Ich denke mir, da braucht es extrem viel Feingefühl, die Situation zu erspüren.

    Peter Granzow: Erspüren ist gut, ja. Ich habe mir schon damals immer gesagt, du musst die Situation so sehen – es wird nicht so lange mehr dauern, da wechseln wir die Plätze, da sitzt ein anderer an dem Bett und ich bin derjenige, der in dem Bett liegt. Dieses Nonverbale… Man hat auch etwas vorgelesen, um die drei Stunden zu überbrücken, man hat mit den Menschen immer wieder gesprochen, aber es kam ja keine Reaktion. Ich kann mich an ein tolles Erlebnis erinnern, da saß ich am Bett einer Frau, habe mich ihr vorher natürlich vorgestellt, habe ihr immer mal die Stirn gewischt, nach drei Stunden kam der Nächste und ich habe zu der Frau gesagt: „Alles Gute“, und dann hat sie, sie hat ja drei Stunden nicht gesprochen, unmittelbar gesagt: „Schön, dass Sie da waren“. Beim Sterben dabei zu sein, das ist auch eine Herausforderung, zu erleben, das ist der letzte Atemzug, dieses Röcheln auszuhalten. Obwohl wir Tag und Nacht begleitet haben, waren die Sitzwachen immer gut zu besetzen.

    Wie ist es heute?

    Anja Schnellen: Es ist für mich interessant, noch mal in die Vergangenheit einzusteigen. Heute ist es anders. Wir sind ja in vielen Pflegeeinrichtungen, wir haben im Landkreis um die 20, dazu das Krankenhaus und Begleitungen zu Hause. Das heißt, die Begleitungsanzahl ist auch größer geworden. Wir haben im Moment um die 200 Begleitungen im Jahr und wir brauchen ja in allen Winkeln Hospizhelfer. Und wenn an einem Ort nicht ausreichend Hospizhelfer*innen wohnen, wird es knapp. Es kann auch sein, dass dann ein Hospizhelfer mehrere Begleitungen übernimmt. Eigentlich haben wir die Regel, dass eine Hospizhelferin nur zu einem schwer- oder sterbenskranken Menschen geht. Die Motivation Hospizhelfer*in zu werden, ist aber nach wie vor ungebrochen. Wir bieten mindestens jedes zweite Jahr einen Kurs an. Nicht alle, die den Kurs absolvieren, bleiben, aber um die zehn sind es schon. Wir mussten noch nie eine Begleitungsanfrage ablehnen. Bisher haben wir es immer gut gestemmt bekommen. Ich wünsche unserem Verein, das ist auch ein Versprechen für die Zukunft, dass wir uns um alle, die uns brauchen, auch kümmern können.

    Frau Wagner, was hat Sie motiviert, Hospizhelferin zu werden?


    Brigitta Wagner: Ich war mein Leben lang berufstätig, ich bin von der Ausbildung her Ökotrophologin und war 36 Jahre in einem großen Catering-Unternehmen im Bereich der Geschäftsführung tätig. Da habe ich nicht an ein Ehrenamt gedacht.  Ich habe dort meinen Mann kennengelernt, wir sind sehr spät zusammengekommen, und er wurde nach drei Monaten krank – Leukämie und dann Magenkrebs, Chemo und viele Komplikationen. Er war eigentlich die zwölf Jahre, die wir zusammen waren, krank. Da habe ich gemerkt, dass ich stark genug bin, mit ihm alles gut durchzustehen. Es war nicht sein Problem, sondern immer unser gemeinsames Problem. Er ist dann gestorben hier im Krankenhaus, ich durfte dabei sein in der Nacht. Das hat mich sehr berührt. Hinterher wurden meine Eltern in Hamburg nacheinander sehr krank. Auch sie konnte ich trotz der Entfernung begleiten, insbesondere meinen Vater sehr intensiv, emotional unterstützen. Ich habe danach gedacht, ja, ich kann das. Ich habe gemerkt, dass das alles sehr anstrengend war, mich aber auch sehr bereichert hat. Sowohl die Zeit mit meinem Vater, vor allem aber die mit meinem Mann. Und da kam die Idee, dass ich irgendwas in diesem Bereich machen möchte. Dann habe ich den Verein kennengelernt. Ich habe Mitte 2014 aktiv angefangen, Anfang 2015 war für mich klar, dass ich nicht mehr länger arbeiten möchte. Ich hatte das Gefühl, dass die amerikanische Firma, die mein Leben war, für mich plötzlich nicht mehr ausfüllend war. Ob Amerika mit den Budget-Zahlen einverstanden ist oder nicht, fand ich zunehmend nicht mehr wichtig. Ich habe aufgehört. Aber ich hätte mich niemals dazu entschieden, wenn ich das Standbein Hospiz nicht gehabt hätte. Dann hätte ich nicht das Gefühl gehabt, etwas vergleichbar Wichtiges wie meine Arbeit zu haben. Danach war für mich auch klar, dass ich mich hier stärker einbringen möchte.

    Sie haben die Sterbebegleitung als bereichernd für Ihr Leben erfahren und auch bei Ihnen, Herr Granzow, habe ich herausgehört: Aus Angst vor dem Tod gehe ich auf ihn zu. Meine Erfahrung ist die, dass man in einen Grenzbereich geht und dadurch die Erfahrung macht, näher am Leben zu sein. Wie sehen Sie das?

    Brigitta Wagner: Ja, Menschen in einer absoluten Notsituation beizustehen, finde ich bereichernd. Ich habe in diesen sieben Jahren sehr viele lange Begleitungen gemacht. Ich bin auch jetzt noch in einer Begleitung, die ich im Juni als akut sterbend übernommen habe. Was mich daran fasziniert, ist, dass man sich meist sehr intensiv mit den zu Begleitenden oder deren Angehörigen austauscht und sehr eng ist. Das ist anders erfüllend, als bei einem Sterbenden ein paar Stunden dabei zu sein. Ich erlebe immer wieder, wie schnell wir das Vertrauen der Schwerkranken, Sterbenden oder Angehörigen erlangen. Oft erfahre ich schon beim ersten Besuch die ganze Lebensgeschichte. Das fasziniert mich. Ich kann es mir gut erklären – wir kommen als neutrale Personen dahin und die Leute können endlich mal frei reden. Das führt auch dazu, dass ich Menschen sehr intensiv und dicht kennenlerne, wie ich es sonst nur bei engen Freunden irgendwann mal haben kann.

    Das ist ja auch eine sehr intime Situation. Ist es dann nicht schwer, die Menschen loszulassen?

    Brigitta Wagner: Es fällt mir überhaupt nicht schwer, wenn es ein intensives Verhältnis mit dem zu Begleitenden war. Ich habe ja den Tod kommen sehen, ob über Tage oder Monate. Ich bin darauf vorbereitet und sehe den Tod als positiven Abschluss meiner Begleitung. Wenn ich ein intensives Verhältnis zu den Angehörigen habe, ist es manchmal schwierig, den Absprung zu finden.

    Wie war es bei Ihnen, Frau Fischer?

    Elisabeth Fischer: Der Grundstein für meine Mitarbeit im Hospizverein wurde gelegt, als ich mit meinem zweiten Kind im Krankenhaus zur Entbindung lang. Ich wollte zur Toilette, habe mich in der Tür vergriffen und war im Badezimmer, wo alles rumpelig gestellt war. Unter anderem stand da eine Liege mit einer Frau. Da habe ich die Schwester gefragt, was mit der Frau denn wäre. Die Antwort: „Och ja, die stirbt jetzt.“ Das war in den 1970er Jahren. Da habe ich mir geschworen, was ich dazu tun kann, dass so etwas nicht passiert, das tue ich. Der Grundstein liegt also schon über 40 Jahre zurück. Da gab es aber noch keine Hospizbewegung! Als die Kinder dann aus dem Haus waren, war ich auf der Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung. Bei mir war es so: Ich war beim Sterben meines Vaters dabei, ich war beim Sterben meiner Mutter dabei und bei meinen Schwiegereltern auch. Alle wurden von der Familie begleitet, alle konnten friedlich sterben. Also habe ich vor der Sterbebegleitung an sich keine Scheu. Was mir Schwierigkeiten gemacht hat, waren die Umstände zu ertragen. Ich habe fast nur zu Hause begleitet. Da kommt man natürlich mit den Familienverhältnissen, mit den Wohnverhältnissen, mit den Zuständen in Kontakt. Das hat mich erschreckt, wie viel Elend und welche Bedrängnisse es hier in der Umgebung gibt. Das finde ich schwer auszuhalten.

    Ist Ihnen etwas besonders in Erinnerung?

    Elisabeth Fischer: Eine Frau zum Beispiel konnte nicht mehr aufstehen und wohnte in einem Haus, das eigentlich abbruchreif war, das hatte sie mit ihrem Mann Stein für Stein aufgebaut. Sie hatte einen Sohn, der sie nicht leiden konnte, sich aber irgendwie um sie kümmerte. Und sie hätte ins Heim kommen können, das war ihr aber zu teuer und sie wollte das Haus für ihre Kinder bewahren, die das aber überhaupt nicht wollten. Dieses Verhältnis von Sohn und Mutter – er machte alles, und wenn die Schwester alle Vierteljahre zu Besuch kam, war sie immer das liebe Kind. Er wurde immer „gedisst“, es war alles nicht richtig, was er tat und die Verhältnisse waren furchtbar. Das Bad war braun und schimmelig, das Klo war außerhalb, noch ein Plumpsklo. Die Frau war den ganzen Tag alleine, nachts sowieso. Das fand ich schrecklich. Ein anderes Beispiel: Ich habe einen Mann begleitet, der lebte seit 20 Jahren mit seiner Lebensgefährtin zusammen, sie waren aber nicht verheiratet. Als es dann ans Sterben ging, habe ich gefragt, ob sie sich schon mal Gedanken über die Bestattung gemacht hatten. Da sagt sie: „Das brauche ich nicht, den lasse ich anonym beerdigen, alles andere kostet ja Geld.“ Das hat mir die Sprache verschlagen. Dann habe ich mit den Kindern gesprochen, die haben gesagt: „Er ist nicht unser Vater, warum sollen wir da zahlen.“ Er ist tatsächlich abgeholt und anonym beerdigt worden. Einmal war ich im Krankenhaus zur Sitzwache. Da lag eine Frau in einem Zimmer voller Blumen. Die Angehörigen haben die Frau geliebt und hatten mich gebeten, nach ihr zu sehen, weil sie mal zwei Stunden weg mussten. In diesem Rahmen ist Sterben in Ordnung. So kannte ich es von zu Hause.

    Peter Granzow: Ich wollte noch mal darauf hinweisen, dass für uns als Hospizhelfer immer die anderen sterben, nicht wir. Die eigene Vergänglichkeit anzusehen, ist sehr schwer. Man kann den eigenen Tod nicht erdenken, man kann ihn auch nicht erfühlen, so wie man Trauer nicht erfühlen kann. Deshalb sollte man sehr vorsichtig sein bei den Aussagen, dass der Tod leicht ist und man ihn akzeptiert. Die Todesangst ist die größte Kraft, die größte Angst, die entsteht. Wir wollen leben, das ist in uns manifestiert. Man weiß immer nicht, wie man selbst darauf reagiert, was, wie Hermann Hesse sagt, die letzten Stunden ergeben, in denen man einen neuen Raum betritt. Wie ist der Übertritt? Wie kann ich wirklich loslassen? Das Wort wird ja gerne benutzt. Es ist nicht so einfach. Wenn jemand wirklich krank ist, Schmerzen hat, wünscht er sich vielleicht wirklich den Tod. Aber wenn es anders ist, ist man nicht davor gefeit, dass einen die Trauer niederringen kann. Obwohl wir im Hospiz ehrenamtlich oder hauptamtlich tätig sind, wissen wir nicht, wie es geht.

    Elisabeth Fischer: Ich meinte mit einem leichten Tod nicht, dass der Tod wirklich leicht ist, sondern dass der Tod und die Trauer lebbarer ist, wenn die Umgebung das mitträgt, als wenn man völlig alleine in verwüsteten Verhältnissen sterben muss.

    So habe ich es auch verstanden: Es hilft ja auch denjenigen, die zurück bleiben, wenn die Verhältnisse geklärt sind. Man denkt dann in der Trauer, dass man nicht alles falsch gemacht hat.

    Brigitta Wagner: Ich kann das nur unterstützen. Mein Vater war 90 Jahre alt, er wurde dann sehr krank, zwischenzeitlich starb meine Mutter, er musste aus dem Haus raus ins Heim die letzten fünf Monate und war dann die letzten sechs Wochen pflegebedürftig. Ein Palliativteam war im Boot und war auch bei meinem Bruder und mir, als unser Vater starb. Hinterher hat uns die Palliativärztin gesagt: Vor ein paar Tagen hat mir ihr Vater noch gesagt, er hätte so gerne noch gelebt. Er wurde fast 91, nach 60 Jahren Ehe hat er seine Frau verloren, er hat seine Gesundheit verloren, er hat sein Haus verloren und er hat seine Autonomie verloren, denn zum Schluss musste er gefüttert und gewindelt werden. Und dann sagt er das. Ich sagte zu meinem Bruder: „Wir haben nicht so viel falsch gemacht.“ Und das hat uns so gut getan. Das ist für die Trauer unendlich wichtig. Wir konnten ihn nicht retten, aber das, was möglich war, haben wir gemacht. Das ist toll! Und er hat mich gelehrt, mit wie viel Zufriedenheit man leben und auch sterben kann.

    Hat sich der Blick auf das Leben durch die Hospizarbeit verändert oder wurde er dadurch eher bestätigt?

    Elisabeth Fischer: Ich habe auch eine Ausbildung als Atemtherapeutin, da habe ich diese Art von Lebenswahrnehmung, dieses nach Innen schauen, schon gelernt. Und ich muss zugeben, dass ich froh bin, hier sein zu dürfen, weil es eine Gemeinschaft ist, die diese Lebens- und Denkweise hat. In anderen Vereinen hat man das nicht, da geht es oft um Äußerlichkeiten.

    Herr Granzow, haben Sie noch Angst vor dem Tod?

    Peter Granzow: Angst nicht, aber es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn man ein Alter erreicht hat und in die Zeitung guckt und beim Blick auf das Geburtsdatum feststellt, dass die Mehrzahl der Verstorbenen jünger ist als man selber. Zukunftspläne muss man ganz anders kalkulieren. Die Sanduhr läuft in eine Richtung. Wenn man auf sein Leben zurückschaut und eine tiefe innere Zufriedenheit hat, und die schon seit Jahren, dann hat man nicht wirklich Angst.

    Wie kamen Sie zur Trauerbegleitung?

    Peter Granzow: Nach den ersten fünf Jahren Sitzwache, wollte ich noch etwas machen, was aktiver ist. Wir hatten ja nur nonverbale Begleitung. So machte ich die Ausbildung zum Trauerbegleiter. Oben im früheren Kiosk am Krankenhaus haben wir dann angefangen mit Einzelgesprächen. Dann kamen andere Bereiche dazu: Trauergruppe, Trauercafé, Trauerwandern, Suizid, Selbsthilfegruppe für Angehörige nach Suizid. Die Trauerbegleitung ist sozusagen die Fortsetzung der Sterbebegleitung.


    Was gehört dazu, dass jemand gut durch die Trauer kommt?

    Peter Granzow: Wenn jemand seinen Partner oder seine Partnerin verloren hat, wird er oder sie auf sich zurückgeworfen und ist oft sehr hilflos. Der Trauerbegleiter gibt Unterstützung, die eigenen Begabungen und Talente wieder zu entdecken, Kontakte zu knüpfen. Der Trauerbegleiter ist in erster Linie derjenige, der zuhört.

    In den vergangenen 25 Jahren ist unheimlich viel passiert im Ökumenischen Hospizverein. Wie hat sich das alles entwickelt?

    Peter Granzow: Ich war am Anfang alleine und hatte keinen Austausch mit anderen Trauerbegleitern. Dadurch ist dann zum Beispiel das Trauernetzwerk Südhessen entstanden. Weitere Trauerbegleiter kamen hinzu und wir konnten eine Trauergruppe anbieten. Dann war ich mit anderen vernetzt und habe gehört, die machen ein Trauercafé. Wir haben uns dann für ein Trauer-Lebens-Café entschieden weil es ja auch darum geht, wieder ins Leben zu kommen. Dann habe ich mal einen Flyer gesehen mit „Trauergehen“, daraus haben wir ein Trauerwandern gemacht. Durch die Spendenaktion „Echo hilft“ konnten  wir einen eigenen Raum für trauernde Kinder und Jugendlichen beziehen. Unser Angebot ist komplett, es fehlt nichts mehr. Nun geht es darum, das, was wir ins Leben gerufen haben, zu erhalten. Es sind ja alles Ehrenamtliche – jeder kann von heute auf morgen aufhören. Meine Aufgabe als Teamleiter ist, dafür zu sorgen, dass wir genug Nachwuchs haben, um die Aufgaben weiterzuführen.

    Sie haben immer auf Situationen und Bedarfe reagiert. Es hat sich viel getan, was sollte sich noch tun?

    Anja Schnellen: Die Geschichten, dass sterbende Menschen ins Badezimmer geschoben werden, ausgegrenzt werden, gibt es heute nicht mehr. Aber das, was heute nach wie vor ein Problem ist, auch deutschlandweit, ist, dass Menschen im hohen Alter ihre Autonomie verlieren – zum Beispiel dementiell erkranken, und dann in aller Regel in einer Pflegeeinrichtung sind. Vielleicht haben sie  sogar eine Patientenverfügung. Aber meist passiert nach wie vor das Gleiche: Der Mensch hat etwas, fällt zum Beispiel aus dem Bett, da geht dann ein Parcours los – vom Pflegeheim ins Krankenhaus zurück ins Pflegeheim und wieder von vorne. Wir werden meist erst ziemlich spät in die Begleitung geholt. Viel sinnvoller, hilfreicher und menschenwürdiger wäre, dass sobald jemand in eine Pflegeeinrichtung zieht, intensive Gespräche mit dem- oder derjenigen geführt werden, wie es denn mal weitergehen soll und was dessen Vorstellung vom guten Leben und würdevollen Sterben ist – und dass wir an dieser Stelle schon beteiligt sind und Hilfestellung geben. Mit dem „ethischen Fallgespräch“ gibt es einen sehr guten Weg, dass alle Beteiligten über diese Dinge auf Augenhöhe  reden können. Ich wünsche mir, dass die Autonomie über solche Brücken wie das ethische Fallgespräch wenigstens teilweise wiederherstellt wird und den Menschen solche Transportgeschichten erspart bleiben.

    Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf Ihre Arbeit?

    Anja Schnellen: Corona hat uns natürlich wie alle Vereine und Organisationen auch gebeutelt. Wir haben ein Schutzkonzept erstellt und konnten dann wieder relativ schnell in die Pflegeeinrichtungen und ins Krankenhaus gehen. Im vorigen Jahr gab es eine ganz schwierige Phase, dass Patientinnen und Patienten alleine gestorben sind. Die Phase war hier im Landkreis relativ kurz, Hauptamtliche konnten relativ schnell wieder in die Kreisklinik. Was mir Sorge macht: Corona hat uns alle in die Richtung gebracht, dass wir uns nicht mehr nach draußen trauen. Das betrifft vor allem auch Trauernde. Gruppen können wir nicht anbieten, aber die Möglichkeit zu Einzelgesprächen gibt es nach wie vor. Ich habe die Sorge, dass es eine große Anzahl an Menschen gibt, die ihre Trauer nicht verarbeiten. Unser Angebot ist: Rufen Sie uns an, auch wenn ihr Sterbefall schon länger her ist. Die Trauerberater machen Einzelgespräche, telefonisch, aber auch in Präsenz. Ich möchte den Menschen gerne Mut machen, mit uns Kontakt aufzunehmen.

     

    KONTAKT
    Der Ökumenische Hospizverein Vorderer Odenwald ist telefonisch unter 06078/759047 erreichbar oder per Mail an kontakt@hospizverein-vorderer-odenwald.de

    Anlässlich des 25-jährigen Bestehens gibt es auf der Homepage eine Chronik als Fotoalbum

    CHRONIK
    November 1995: Pfarrerin Regina Häfner-Wendeberg, Pastoralreferent Cyriakus Schmidt und die
    Praktikantin Patricia Klinck planen eine Sitzwachengruppe, die die Hospizarbeit im Kreispflegeheim in Groß-Umstadt aufnehmen soll.
    Januar 1996: Die Hospizgruppe geht an die Öffentlichkeit. In Vorträgen und Gesprächsrunden informieren Pfarrerin Regina Häfner-Wendeberg und Pastoralreferent Cyriakus Schmidt über die Arbeit und Ausbildungsangebote
    Mai 1996: Der erste Ausbildungslehrgang für Hospizhelfer startet
    November 1996: Gründung des Verein zur Förderung der Ökumenischen Hospizgruppe e.V.
    Juli 1997: Die Arbeit im Pflegeheim in Groß-Umstadt beginnt
    Mai 1998: Die Hospizgruppe wird erstmals für ihre Arbeit ausgezeichnet
    November 1999: Das Angebot der Sterbebegleitung wird auf die Kreisklinik in Groß-Umstadt ausgedehnt
    November 2001: Die Hospizgruppe zieht im Kiosk an der Klinik ein, die erste Trauerbegleitung wird angeboten
    Juni 2004: Die Hospizgruppe qualifiziert erstmals ambulante Hospizhelfer
    Oktober 2004: Mit Anja Schnellen wird die erste Koordinatorin eingestellt
    April 2005: Start der ersten Trauergruppe
    Juli 2005: Der Hospizverein ist nicht mehr nur in Groß-Umstadt, sondern im gesamten vorderen Odenwald aktiv
    Mai 2009: Der Förderverein und die Hospizgruppe schließen sich zum Ökumenischen Hospizverein Groß-Umstadt e.V. zusammen
    Juni 2009: Der Hospizverein schließt sich dem PalliativNetz Darmstadt an
    August 2009: Trauerbegleitung gibt es jetzt auch für Kinder und Jugendliche
    Oktober 2009:  Umzug ins Darmstädter Schloss
    März 2010: Geburtsstunde des Trauer-Lebens-Café an jedem 1. Samstag im Monat
    Januar 2012: Kooperation mit der Gersprenz Seniorendienstleistungs GmbH
    März 2014: Erste Trauerwanderung in den Umstädter Weinbergen
    April 2015: Umzug in die St. Péray-Str. 9 in Groß-Umstadt (am Bahnhof)
    Juli 2016: Aus dem Ökumenischen Hospizverein Groß-Umstadt wird der Ökumenische Hospizverein Vorderer Odenwald und es gibt ein neues Logo
    August 2016: Zwei neue Selbsthilfegruppen werden ins Leben gerufen – die für Angehörige nach Suizid und eine Selbsthilfegruppe für verwaiste Eltern
    Oktober 2017: Start der Letzte-Hilfe-Kurse
    November 2018: Das Kreisparlament hat einstimmig den Beitritt zur Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland beschlossen
    Februar 2019: Bei der Spendenaktion „ECHO hilft!“ kommen 40.000 Euro für die Trauerarbeit mit Kindern und Jugendlichen zusammen
    September 2019: Offizielle Einweihung der Trauerwerkstatt für Kinder und Jugendliche

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